Mrothyr schrieb am 14. September 2006 17:44
> demokratie schrieb am 14. September 2006 16:53
>
> > Woher kommt also dieses Desinteresse an politischer Teilhabe, die so
> > gut wie nie in Anspruch genommen wird?
>
> - Menschen sind von Natur aus Opportunisten, sie suchen den Schutz
> der Menge. Die Deutschen machen da keine Ausnahme. Eher im Gegenteil
> - während sie auf den "Führer" warten, der sie aus dem Tal der Tränen
> geleitet, heulen sie gern über den Opportunismus ihrer Landsleute.
Also ehrlich gesagt, den Spruch vom "starken Mann" der mal "aufräumt"
habe ich bei allem Gejammer schon lange nicht mehr gehört, nein, ich
denke eher, dass darauf auch keine Hoffnung mehr gesetzt wird. Dieses
Desinteresse würde ich eher mit "innere Kündigung (der
Staatsloyalität)" beschreiben. Den Leuten ist es einfach wurscht, wer
den Karren aus dem Dreck zieht, auch weil sie - ihrer Erfahrung nach
- der Karren eh nix angeht. Die Gründe dafür zählst du ja selbst auf:
>
> das Brot-und-SPiele-System ...
>
>Teile und Herrsche funktioniert recht gut. Wenn sich soziale
> Spannungen zu entladen drohen, finden sich durchaus genügend Kräfte,
> die eine geschlossene Front der Betroffenen verhindern.
>
> Verholzung der politischen Entscheidungsmechanismen.
>
> Denn im gegensatz zur DDR darfst du heute alles sagen - nur interessiert sich > keine Sau dafür.
>
> Revolutionsmüdigkeit.
>
> Alternativlosigkeit. Welche Alternativen gibt es (ob nun real oder
> eingebildet), die man aus eigener Anschauung heraus betrachten oder
> zumindest aus allgemeinbildungstechnischer Sicht heraus erfassen kann
> (nein, es sollte "volkskompatibel" sein - und das sind momentane
> Alternativkonzepte nicht).
Eines würde ich schon sehen: mir missfällt an unserer modernen
Demokratie nämlich zunehmend dieser Trend zum Mittelmaß, zum
kleinsten gemeinsamen Nenner, zum Allen wohl und niemand wehe (und
dabei vertuschen, dass doch manche nennenswerte Abstriche machen
müssen). <arrogant> Ich bin wenigstens teilweise der Meinung, das
einfach zu viele Leute bei zu vielen Dingen mitreden von denen sie
nix verstehen und eine Problemlösung oft in der Art zustandekommt,
dass es so gelöst wird, das die meisten Vorurteile und Resentiments
unter einen Hut gesteckt werden.
Die Lösung, die mir deshalb vorschwebt, ist das, was gerne mit
"bürgerlichem Engagement" bezeichnet wird. Ansätze dafür gibt es
schon: hier in meinem Schwarzwalddorf ist das Hallenbad, als es
geschlossen werden sollte, in den Besitz eines Bürgervereins
übergegangen (allerdings nicht reibungslos), in der benachbarten
Großstadt wurde ein ganzes Stadtviertel zu großen Teilen von Vereinen
und Genossenschaften gebaut. Um mal zu beschreiben wie ich mir sowas
konkret vorstelle:
Ein Ort mit einer vielbefahrenen Durchgangsstraße. Die Menschen dort
wünschen sich eine Umgehungsstraße. Sie organisieren sich, und
beschaffen und bezahlen Fachleute, Material usw. Wenn genug Leute
zusammenkommen, wird die Straße gebaut, sonst eben nicht oder später.
Die Hindernisse für solche Projekte sind aller meiner Erfahrung nach
vor allem bürokratischer Natur. Nun lässt sich ja auch ein Projekt
starten, dass diese Hindernisse versucht zu überwinden.
Ich sehe folgende Vorteile
-wer sich nicht beteiligt, hat auch keine Einflussnahme
-die Menschen bekommen wieder einen persönlichen Bezug zu ihrer
Infrastruktur, weil sie sich dafür interessieren (müssen).
-die Menschen selbst kommen sich näher, da sie ja in einem
gemeinsamen Interesse zusammenarbeiten
-Menschen haben sich immer schon organisiert um gemeinsam Ziele zu
erreichen
-Macht entsteht nur auf Projektebene, und das bei hoher Kontrolle
-ist garantiert "volkskompatibel", Stichwort Schrebergarten.
und folgende Nachteile
-im Grunde lässt sich sowas nur starten, indem man damit beginnt
-der gesellschaftliche Trend zur Vereinzelung steht dem entgegen
-fraglich bleibt, wie Exekutive und Judikative auf diese Art gelöst
werden sollen
Dies nur mal als kurzen Anriss zum selber weiterdenken. Am Rande: wer
einen Verein gründen will braucht
- 7 geschäftsfähige Personen
- eine Gründungsversammlung
- eine Satzung (aus dem Internet oder vom befreundeten Anwalt - so
man einen hat)
- eine Vorstandswahl (1. Vorsitzender, 2. Vorsitzender, Kassenwart)
- ein Gründungsprotokoll, unterschrieben von allen Anwesenden (sieben
genügen)
Damit dann zuerst zum Finanzamt (wg. Gemeinnützigkeit), dann erst zum
Amtsgericht (dank Gemeinnützigkeit entfällt dann die Gebühr)
Dieses Thema hab ich deshalb so ausgewalzt, weil ich an einem
Beispiel zeigen will, was sich mit einem Verein (neben Blasmusik) so
alles erreichen lässt:
Zu meinen Punk-Zeiten gründeten einige Mitpunks und ich den "Verein
zur Förderung der kulturellen Kommunikation", Ziel war es, eine
eigene Punk-Kneipe zu bekommen. Diesen Ziel haben wir auch erreicht.
Die befreundete Rechtsanwältin riet uns, im Vereinslokal keine
Zapfanlage zu installieren und Getränke nur an eingeschriebene
Mitglieder zu verkaufen. Jeder der ein Getränk wollte, und kein
Vereinsmitglied war, zahlte den Jahresbeitrag von 2 DM und bekam zur
Feier seiner Mitgliedschaft ein Gutschein für ein Getränk. Wert: 2
DM.
Fazit: eigene Kneipe, geile Konzerte, billiges Bier
Neben dem gemeinnützigen Verein gibt es auch den nicht
gemeinnützigen, der steuerpflichtig ist, dafür aber auch Gewinn
erwirtschaften kann, sowie die ganzen Genossenschafts- und
Firmenmodelle, in Karlruhe hat -glaub ich- die Trägergesellschaft für
ein ehemals besetztes Haus sogar eine Aktiengesellschaft gegründet.
Für ein Pfund kann man in England eine LDT (entspricht der GmbH)
gründen, die dank EU uneingeschränkt in Deutschland tätig sein kann,
allerdings muss eine jährliche englische Bilanz vorliegen, aber es
gibt ja auch eine Menge arbeitsloser BWLer, die das alle gelernt
haben. Usw, usf. Mit ein wenig Phantasie lässt sich da sicher
allerhand erreichen, z. B. wie hier www.susi-gmbh.de.
> Uns wird doch immer noch erzählt, daß wir in einer sozialen Marktwirtschaft
> leben
>
Der Schwabe sagt: erzählt wird viel, wenn der Tag lang ist.
> ...
> Mithin müßte eigentlich eine TRANSNATIONALE Gegenbewegung entstehen
Nun, mit dem "gegen" habe ich ein Problem. Gegen etwas zu kämpfen,
bindet Kräfte eigentlich eher sinnlos, und sollte auf das nötigste
beschränkt werden. Viel effektiver ist -meine ich-, etwas neues
aufzubauen, bzw. Werte zu erhalten, und wenns nur eine
Spielplatzrenovierung ist. Primaten tendieren generell dazu, andere
Primaten nachzuahmen, Beispiel geben ist die beste (und
unkontrollierbarste) Propaganda.
Eine (wörtlich) transnationale Bewegung (allerdings ohne "gegen")
kenne ich, mit hervorragender Infrastruktur, weltweit vertreten und
hervorragend organisiert. Ich meine die heilige römisch-katholische
Kirche ;)
Aber das nur am Rande
Andreas
> demokratie schrieb am 14. September 2006 16:53
>
> > Woher kommt also dieses Desinteresse an politischer Teilhabe, die so
> > gut wie nie in Anspruch genommen wird?
>
> - Menschen sind von Natur aus Opportunisten, sie suchen den Schutz
> der Menge. Die Deutschen machen da keine Ausnahme. Eher im Gegenteil
> - während sie auf den "Führer" warten, der sie aus dem Tal der Tränen
> geleitet, heulen sie gern über den Opportunismus ihrer Landsleute.
Also ehrlich gesagt, den Spruch vom "starken Mann" der mal "aufräumt"
habe ich bei allem Gejammer schon lange nicht mehr gehört, nein, ich
denke eher, dass darauf auch keine Hoffnung mehr gesetzt wird. Dieses
Desinteresse würde ich eher mit "innere Kündigung (der
Staatsloyalität)" beschreiben. Den Leuten ist es einfach wurscht, wer
den Karren aus dem Dreck zieht, auch weil sie - ihrer Erfahrung nach
- der Karren eh nix angeht. Die Gründe dafür zählst du ja selbst auf:
>
> das Brot-und-SPiele-System ...
>
>Teile und Herrsche funktioniert recht gut. Wenn sich soziale
> Spannungen zu entladen drohen, finden sich durchaus genügend Kräfte,
> die eine geschlossene Front der Betroffenen verhindern.
>
> Verholzung der politischen Entscheidungsmechanismen.
>
> Denn im gegensatz zur DDR darfst du heute alles sagen - nur interessiert sich > keine Sau dafür.
>
> Revolutionsmüdigkeit.
>
> Alternativlosigkeit. Welche Alternativen gibt es (ob nun real oder
> eingebildet), die man aus eigener Anschauung heraus betrachten oder
> zumindest aus allgemeinbildungstechnischer Sicht heraus erfassen kann
> (nein, es sollte "volkskompatibel" sein - und das sind momentane
> Alternativkonzepte nicht).
Eines würde ich schon sehen: mir missfällt an unserer modernen
Demokratie nämlich zunehmend dieser Trend zum Mittelmaß, zum
kleinsten gemeinsamen Nenner, zum Allen wohl und niemand wehe (und
dabei vertuschen, dass doch manche nennenswerte Abstriche machen
müssen). <arrogant> Ich bin wenigstens teilweise der Meinung, das
einfach zu viele Leute bei zu vielen Dingen mitreden von denen sie
nix verstehen und eine Problemlösung oft in der Art zustandekommt,
dass es so gelöst wird, das die meisten Vorurteile und Resentiments
unter einen Hut gesteckt werden.
Die Lösung, die mir deshalb vorschwebt, ist das, was gerne mit
"bürgerlichem Engagement" bezeichnet wird. Ansätze dafür gibt es
schon: hier in meinem Schwarzwalddorf ist das Hallenbad, als es
geschlossen werden sollte, in den Besitz eines Bürgervereins
übergegangen (allerdings nicht reibungslos), in der benachbarten
Großstadt wurde ein ganzes Stadtviertel zu großen Teilen von Vereinen
und Genossenschaften gebaut. Um mal zu beschreiben wie ich mir sowas
konkret vorstelle:
Ein Ort mit einer vielbefahrenen Durchgangsstraße. Die Menschen dort
wünschen sich eine Umgehungsstraße. Sie organisieren sich, und
beschaffen und bezahlen Fachleute, Material usw. Wenn genug Leute
zusammenkommen, wird die Straße gebaut, sonst eben nicht oder später.
Die Hindernisse für solche Projekte sind aller meiner Erfahrung nach
vor allem bürokratischer Natur. Nun lässt sich ja auch ein Projekt
starten, dass diese Hindernisse versucht zu überwinden.
Ich sehe folgende Vorteile
-wer sich nicht beteiligt, hat auch keine Einflussnahme
-die Menschen bekommen wieder einen persönlichen Bezug zu ihrer
Infrastruktur, weil sie sich dafür interessieren (müssen).
-die Menschen selbst kommen sich näher, da sie ja in einem
gemeinsamen Interesse zusammenarbeiten
-Menschen haben sich immer schon organisiert um gemeinsam Ziele zu
erreichen
-Macht entsteht nur auf Projektebene, und das bei hoher Kontrolle
-ist garantiert "volkskompatibel", Stichwort Schrebergarten.
und folgende Nachteile
-im Grunde lässt sich sowas nur starten, indem man damit beginnt
-der gesellschaftliche Trend zur Vereinzelung steht dem entgegen
-fraglich bleibt, wie Exekutive und Judikative auf diese Art gelöst
werden sollen
Dies nur mal als kurzen Anriss zum selber weiterdenken. Am Rande: wer
einen Verein gründen will braucht
- 7 geschäftsfähige Personen
- eine Gründungsversammlung
- eine Satzung (aus dem Internet oder vom befreundeten Anwalt - so
man einen hat)
- eine Vorstandswahl (1. Vorsitzender, 2. Vorsitzender, Kassenwart)
- ein Gründungsprotokoll, unterschrieben von allen Anwesenden (sieben
genügen)
Damit dann zuerst zum Finanzamt (wg. Gemeinnützigkeit), dann erst zum
Amtsgericht (dank Gemeinnützigkeit entfällt dann die Gebühr)
Dieses Thema hab ich deshalb so ausgewalzt, weil ich an einem
Beispiel zeigen will, was sich mit einem Verein (neben Blasmusik) so
alles erreichen lässt:
Zu meinen Punk-Zeiten gründeten einige Mitpunks und ich den "Verein
zur Förderung der kulturellen Kommunikation", Ziel war es, eine
eigene Punk-Kneipe zu bekommen. Diesen Ziel haben wir auch erreicht.
Die befreundete Rechtsanwältin riet uns, im Vereinslokal keine
Zapfanlage zu installieren und Getränke nur an eingeschriebene
Mitglieder zu verkaufen. Jeder der ein Getränk wollte, und kein
Vereinsmitglied war, zahlte den Jahresbeitrag von 2 DM und bekam zur
Feier seiner Mitgliedschaft ein Gutschein für ein Getränk. Wert: 2
DM.
Fazit: eigene Kneipe, geile Konzerte, billiges Bier
Neben dem gemeinnützigen Verein gibt es auch den nicht
gemeinnützigen, der steuerpflichtig ist, dafür aber auch Gewinn
erwirtschaften kann, sowie die ganzen Genossenschafts- und
Firmenmodelle, in Karlruhe hat -glaub ich- die Trägergesellschaft für
ein ehemals besetztes Haus sogar eine Aktiengesellschaft gegründet.
Für ein Pfund kann man in England eine LDT (entspricht der GmbH)
gründen, die dank EU uneingeschränkt in Deutschland tätig sein kann,
allerdings muss eine jährliche englische Bilanz vorliegen, aber es
gibt ja auch eine Menge arbeitsloser BWLer, die das alle gelernt
haben. Usw, usf. Mit ein wenig Phantasie lässt sich da sicher
allerhand erreichen, z. B. wie hier www.susi-gmbh.de.
> Uns wird doch immer noch erzählt, daß wir in einer sozialen Marktwirtschaft
> leben
>
Der Schwabe sagt: erzählt wird viel, wenn der Tag lang ist.
> ...
> Mithin müßte eigentlich eine TRANSNATIONALE Gegenbewegung entstehen
Nun, mit dem "gegen" habe ich ein Problem. Gegen etwas zu kämpfen,
bindet Kräfte eigentlich eher sinnlos, und sollte auf das nötigste
beschränkt werden. Viel effektiver ist -meine ich-, etwas neues
aufzubauen, bzw. Werte zu erhalten, und wenns nur eine
Spielplatzrenovierung ist. Primaten tendieren generell dazu, andere
Primaten nachzuahmen, Beispiel geben ist die beste (und
unkontrollierbarste) Propaganda.
Eine (wörtlich) transnationale Bewegung (allerdings ohne "gegen")
kenne ich, mit hervorragender Infrastruktur, weltweit vertreten und
hervorragend organisiert. Ich meine die heilige römisch-katholische
Kirche ;)
Aber das nur am Rande
Andreas