03. Juli 2019 Rainer Mausfeld
Die Eliten nutzen traditionell Techniken der Angsterzeugung, um die Kluft zwischen demokratischer Rhetorik und kapitalistischer Realität zu übertünchen
Eine "gute" Regierung, so war man schon in der Antike überzeugt, könne nur eine Regierung der Wenigen und Tüchtigsten sein. Platon wie Aristoteles sahen daher, wenn auch in unterschiedlicher Weise, die Regierungsform der Demokratie als eine Verfallsform guter Regierungsformen an. Eine Demokratie könne nämlich dazu führen, dass die Mehrzahl der Nichtbesitzenden - also "Untüchtigen" - die Eigentumsordnung in Frage stellt, was für die Minderheit der Besitzenden - also Tüchtigen - von Nachteil sei.
Die meritokratische Ideologie geht jedoch über die Vorstellung hinaus, dass politische Herrschaft den Besten und Geeignetsten zukommen solle. Vielmehr sucht sie für soziale Hierarchien einer Gesellschaft insgesamt eine Rechtfertigung zu liefern. In einer meritokratischen Gesellschaft nimmt jedes Mitglied die von ihm verdiente, gesellschaftliche Position ein. Die Reichen haben ihren Reichtum und ihre soziale Position durch ihre Tüchtigkeit verdient, und aus gleichem Grund sind die Armen zu Recht arm. Die meritokratische Ideologie dient gerade dazu zu verschleiern, dass zwischen beiden ein gesellschaftliches Beziehungsverhältnis besteht.
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Wörtlich bedeutet Meritokratie, dass diejenigen zur Ausübung von Macht legitimiert sind, die sich durch Leistungen ein Verdienst erworben haben. Bereits in dieser Bestimmung wird eine charakteristische Zirkularität erkennbar, denn welches Verdienst könnte größer sein als dasjenige, zur besitzenden und herrschenden Klasse zu gehören?
https://www.heise.de/tp/features/Ideologie-der-Meritokratie-als-Herrschaftstechnik-4460823.html