Wenn Hutmacher und Mayrhofer schon Pinkers ungenügendes Verständnis von Adorno anmerken, hätten sie an dieser Stelle darauf verweisen können, dass Pinker hier in einer Art Psychologismus verbleibt und seine Ausführungen nicht das Niveau einer Ideologiekritik erreichen.
Es hat etwas Ironisches, wenn die beiden Autoren an dieser Stelle den Begriff 'Ideologiekritik' verwenden, nachdem sie eingangs den Pinker-Kritikern eine ebensolche als Desinteresse an dessen Anliegen auslegen. Dies nachdem sie bemängelt haben, Hutmacher und Mayrhofer seien 'bloss' immanent in ihrer Kritik, also nicht konstruktiv. Ist Kempin und Neuhaus das nicht aufgefallen? Ist das möglich, wenn sie gleichzeitig eingestehen, dass Pinker "ein Anhänger der kapitalistischen Marktgesellschaft" sei? Kann man wirklich so blind sein?
Der Versuch, Pinkers retardierten Versuch, die Ergebnisse der westlichen Kultur zu rechtfertigen, seine realitätsblinde Apologie des Bestehenden, vermeintlich Bewährten mit der Empfehlung, mehr vom Gleichen werde über die ein wenig holprige Passagen des Weges zum Demiurgen-Doktorat, zur Lizenz zum Terraforming gewiss hinwegtragen, der Versuch also dies alles als intellektuell respektable Leistung darzustellen, verrät ihre eigne Voreingenommenheit nicht durch das Gesagte sondern das Verschwiegene. Im ganzen Text nicht ein Tönchen über die gravierenden ökologischen Probleme, die der vorläufige Siegeszug der technischen Vernunft ausgelöst hat. Kritische Theorie, das räumen sie ein, verstehe Pinker nicht, nicht ohne aber sogleich klar zu stellen, dass die immensen technischen Fortschritte dies im Grunde auch obsolet machten. Implizit - argumentiert wird in diesem Textchen so gut wie gar nicht - werden die Einsichten Adornos oder auch Foucaults - worauf die Autoren Bezug nehmen, wird nicht verraten - als vielleicht vorübergehend gültig, aber vernachlässigbar dargestellt, angesichts solch mächtiger Begriffe wie "Entropie, Evolution und Information".
Auch wenn er ein kapitalistisches Gesellschaftsbild propagiert, ist seine 'Leistungsschau', seine Übersicht zu zivilisatorischen Fortschritten verdienstvoll und sollte nicht unnötig diskreditiert werden.
Solche 'Leistungsschauen' sind Legion. Mehr als ein Gähnen können sie nicht hervorrufen. Die allenthalben von den Systemapologeten und Weitermachern annoncierten sozioökonomischen Verbesserungen haben nur einen kleinen Fehler - sie sind nicht nachhaltig. Sie beruhen auf hemmungslosen Raubbau. Wenn der auf der endlichen Erde nicht mehr möglich ist, ertönt der Gong - Vorstellung beendet, jetzt wieder zurück in die harsche Realität.
Aber wir werden doch ins All ausgreifen, Bergbau auf anderen Himmelskörpern betreiben... Und hinieden wird alles gut. Die ausgestorbene Flora und Fauna wird gentechnisch wieder in die Welt gesetzt, Urwälder spriessen, Meere gedeihen, die Atmosphärenchemie, der Gasmetabolismus des Planeten optimal eingestellt, wüste, unfruchtbare Erde in ein Ebenbild des New Yorker Central Parks verwandelt oder weites Ackerland und eine gütige aus dem Weissen Haus agierende Weltregierung wacht über Weltfrieden und Prosperität.
Oder eher nicht. Die Menschheit kann sich glücklich schätzen, wenn ihr zumindest ein Dritter Weltkrieg erspart wird, in dem die globale Vormacht bestimmt werden soll und der in allgemeiner Vernichtung und atomarer Kontamination endete. Dass der von Pinker präferierte Kapitalismus aufgrund seines Widerspruchs zur Physik - wenigstens das sollte einem Hohepriester der Naturwissenschaften ins Auge stechen - völlig unfähig ist, die Klimaerhitzung noch abzubremsen, so dass wir wenigstens noch ein wenig Zeit hätten, sich an sie zu akkomodieren - ach egal, was solls. Die westliche Kultur ist das Grösste, das es je gegeben hat und dass sie schliesslich am eignen Erfolg erstickt, ersticken muss - wär ja ein Spoiler das schon zu verraten.
Mehr Aufklärung wagen. Ja. Was die Beiden hier abliefern ist allerdings das Gegenteil davon.