Das ist, mit Verlaub, die schwachsinnigste Idee die ich seit langem gehört habe.
Wie soll man denn als Lehrkraft den Schülerinnen und Schülern sinnvolles Feedback geben, wenn man als einzige Option richtig oder falsch hat? Wenn man gar keinen Einblick in den Denkprozess bekommen kann, weil man nur ein Endergebnis hat?
Mal ganz davon abgesehen, dass diese Art von Rückmeldung genau das befördert, was sich als besonders toxisch herausstellt: die Fixierung auf gute Noten statt verstandene Inhalte und Konzepte.
Und wie sollte so eine Software denn für ein Fach wie Deutsch oder Geschichte oder Ethik aussehen?
Multiple Choice hat seinen Anwendungsfall, wenn es nämlich darum gehen soll, schnell und effizient Faktenwissen abzuprüfen. Meinetwegen bei Vokabeltests. Oder um zu schauen, ob man ein Adverb von einem Adjektiv unterscheiden kann. Oder was (a + b)^2 ist. Faktenwissen ist aber der allerkleinste Teil der Schule. Sonst würde man den Kindern einfach den Brockhaus oder die Wikipedia hinstellen und sagen "Lern das auswendig". Da würde ich mich auch fragen, warum ich in die Schule muss. Kann ich doch alles nachschlagen.
Das ist auch die wahre Krux bei Klausuren: dass sie nicht als sinnvolle Methode zur von der Lehrkraft unterstützten Selbstevaluation verstanden werden ("Habe ich verstanden um was es ging und kann ich es in sinnvoller Weise selber anwenden?") sondern um ein Mittel zum Bewerten von Leistung und zur Ahndung von Fehlverhalten ("Wenn ich noch eine Fünf schreibe bleibe ich sitzen"). Also wird nicht geübt, einen Aufsatz zu schreiben, sondern den Inhalt der Lektürehilfe möglichst auswendig zu können. Den man danach sofort wieder vergisst, weil das Thema ja dann abgehakt ist.
Wenn Schule dazu da sein soll, Affen darauf zu trainieren die richtigen Häkchen zu setzen um dann die Belohnung zu bekommen können wir es auch gleich ganz lassen. Warum lernen wir denn in der Schule eine Textanalyse? Doch nicht weil wir im Berufsleben alle Lessing analysieren, sondern weil es eine Methode ist, das Erkennen von Strukturen in einem Text zu vermitteln.
Die Inhalte der Mathematik der Oberstufe brauchen vielleicht 0,1% der Bevölkerung jemals in ihrem Leben. Aber die Problemlösungstrategien, die man dabei lernen kann, braucht man immer wieder.
In spätestens zehn Jahren werden die KIs gut genug sein, die meisten Aufgaben, die man mit Multiple-Choice-Tests üben kann, automatisch zu lösen. Diese Berufe werden sterben, da müssen wir keine Leute mehr für ausbilden. Was wir brauchen sind Menschen mit manuellem Geschick, Kreativität und sozialer Kompetenz. Wie trainiert man diese Fähigkeiten? Mit handwerklichen Fächern, Kunst und Musik und idealerweise Unterricht, der soziale Wahrnehmung der ganzen Klasse erfordert.
Alles Sachen, die in den letzten dreißig Jahren an den Schulen als nicht relevant fürs Berufsleben marginalisiert, intellektualisiert und abgeschafft wurden. Und statt sozialer Kompetenz und Teamgeist trainieren wir Konkurrenzdenken. Wenn alle eine Eins haben ist meine nichts mehr wert. Also darf ich meinen Kollegen nicht helfen zu verstehen sondern sollte mich freuen, dass sie scheitern.
Aufgabenpools gibt es übrigens schon seit langem, es soll sogar ganze Verlage geben, die diese Dienstleistung anbieten. Das Aufsetzen von Klausuren ist es auch nicht, was so viel Zeit kostet. Einen Einblick in die Denkweise der Schülerinnen und Schüler zu bekommen um helfen zu können ist zeitaufwendig. Aber die Zeit dazu muss man halt auch haben, sonst ist es wirklich nur Rotstift und weiter. Das hilft niemandem.
P.S.: ich bin kein verbeamteter Lehrer.