Von früheren Kulturen ist überliefert, dass sie einen Sinn für Genuss hatten. Mit dem Protestantismus und dem aufkommenden Liberalismus wurde die Arbeit zur Tugend erhoben und die Lebensfreunde bekam den Anschein der Sünde.
Mit der Sozialdemokratie wurden diese ökonomischen Vorstellungen in der deutschen Arbeitsmarktpolitik verankert um den Nährboden für "Europas beste" Niedriglohnsektoren zu schaffen.
Mit 16-Stunden-Schichten an sechs Tagen in der Woche konnten die Arbeiter ihre Tugendhaftigkeit unter Beweis stellen.
Dann entwickelten sich Gewerkschaften und die politische Arbeiterbewegung entstand – und beide brachten mit der Idee des Acht-Stunden-Tags eine Untugend unter das Volk, die dann sogar in ein Gesetz gegossen wurde.
Die sozialdemokratische Illusion, dass (in den Worten von W. Benjamin) "die Fabrikarbeit, die im Zuge des technischen Fortschritts gelegen sei, (...) eine politische Leistung dar(stelle)", wiederholt sich augenscheinlich durch eine erneut in hohem Grade korrumpierte deutsche Arbeiterschaft, die in dem 2015 eingeführten »Mindestlohn« eine politische Leistung erkennen möchten.
Ergänzung zum Begriff der Arbeit aus Über den Begriff der Geschichte:
XI
Der Konformismus, der von Anfang an in der Sozialdemokratie heimisch gewesen ist, haftet nicht nur an ihrer politischen Taktik, sondern auch an ihren ökonomischen Vorstellungen. Er ist eine Ursache des späteren Zusammenbruchs. Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat wie die Meinung, sie schwimme mit dem Strom. Die technische Entwicklung galt ihr als das Gefälle des Stromes, mit dem sie zu schwimmen meinte. Von da war es nur ein Schritt zu der Illusion, die Fabrikarbeit, die im Zuge des technischen Fortschritts gelegen sei, stelle eine politische Leistung dar.
Die alte protestantische Werkmoral feierte in säkularisierter Gestalt bei den deutschen Arbeitern ihre Auferstehung. Das Gothaer Programm trägt bereits Spuren dieser Verwirrung an sich. Es definiert die Arbeit als »die Quelle alles Reichtums und aller Kultur«. Böses ahnend, entgegnete Marx darauf, daß der Mensch, der kein anderes Eigentum besitze als seine Arbeitskraft, »der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern ... gemacht haben«. Unbeschadet dessen greift die Konfusion weiter um sich, und bald darauf verkündet Josef Dietzgen: »Arbeit heißt der Heiland der neueren Zeit ... In der ... Verbesserung ... der Arbeit ... besteht der Reichtum, der jetzt vollbringen kann, was bisher kein Erlöser vollbracht hat.« Dieser vulgärmarxistische Begriff von dem, was die Arbeit ist, hält sich bei der Frage nicht lange auf, wie ihr Produkt den Arbeitern selber anschlägt, solange sie nicht darüber verfügen können. Er will nur die Fortschritte der Naturbeherrschung, nicht die Rückschritte der Gesellschaft wahr haben. Er weist schon die technokratischen Züge auf, die später im Faschismus begegnen werden. Zu diesen gehört ein Begriff der Natur, der sich auf unheilverkündende Art von dem in den sozialistischen Utopien des Vormärz abhebt. Die Arbeit, wie sie nunmehr verstanden wird, läuft auf die Ausbeutung der Natur hinaus, welche man mit naiver Genugtuung der Ausbeutung des Proletariats gegenüber stellt. Mit dieser positivistischen Konzeption verglichen erweisen die Phantastereien, die so viel Stoff zur Verspottung eines Fourier gegeben haben, ihren überraschend gesunden Sinn. Nach Fourier sollte die wohlbeschaffene gesellschaftliche Arbeit zur Folge haben, daß vier Monde die irdische Nacht erleuchteten, daß das Eis sich von den Polen zurückziehen, daß das Meerwasser nicht mehr salzig schmecke und die Raubtiere in den Dienst des Menschen träten. Das alles illustriert eine Arbeit, die, weit entfernt die Natur auszubeuten, von den Schöpfungen sie zu entbinden imstande ist, die als mögliche in ihrem Schoße schlummern. Zu dem korrumpierten Begriff von Arbeit gehört als sein Komplement die Natur, welche, wie Dietzgen sich ausgedrückt hat, »gratis da ist«.
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