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  • PremKavi

mehr als 1000 Beiträge seit 16.08.2006

Warum soll ich mich mit einer so kleinen Protestgruppe befassen?

Das war die erste, unwillkürliche Frage, als ich den Artikel las. Steht sie stellvertretend für die Klima und Friedensbewegung, obwohl das eigentlich zwei grundverschiedene Bewegungen sind?

Halbwegs politischen Realismus kann ich in solchen Forderungen nicht erkennen. Stand der Dinge ist, dass Deutschland zu einem Drittel von russischen Rohölimporten und zu mehr als der Hälfte von russischem Erdgas abhängig ist. Weder das eine noch das andere lässt sich kurzfristig ersetzen.

Doch zunächst einmal, wir haben noch Winter, geht es um die Hunderttausendte Haushalte, die bezüglich ihrer Heizung von Erdgas abhängig sind. Die Energiepolitik der letzten Jahrzehnte hatte Erdgas favorisiert. Sowohl für die Heizung als auch in vielen Großstädten, ich denke da gerade an die Erdgasumstellung in Mannheim vor einigen Jahrzehnten, für den Gasherd.

Noch vor wenigen Monaten hatte ich mit einem Energieberater der Verbraucherzentralen telefoniert, der glücklicherweise nicht so verblendet war, mir eine Umstellung der Heizung auf Wärmepumpe plus Gas bei Temperaturen unterhalb 0° zu raten, sondern stattdessen empfahl, sich für die Übergangsperioden und wärmere Tage im Winter eine Wärmepumpe anzuschaffen und ansonsten beim Öl zu bleiben. Erdgas sei zwar geringfügig klimafreundlicher als Erdöl, aber man würde sich damit auch noch abhängiger machen, da man nicht, wenn die Preise gerade mal günstig sind, seine Tanks vollmachen kann. Das einzig Dumme dabei sei, es würde von der Bundesregierung nicht gefördert, gefördert würde nur Wärmepumpe plus Erdgas. Als ob er im September letzten Jahres bereits geahnt hätte, was kommen wird.

Er war nicht so kurzsichtig wie unsere bisherigen Bundesregierungen und nicht so kurzsichtig wie Teile der Friedens- und Klimabewegung jetzt. Denn darum geht es vor allem mal, in der jetzigen Situation dennoch Versorgungssicherheit. Die wäre aktuell sogar nur mit Nordstream 2 wirklich gegeben, vorausgesetzt, das politische Klima spitzt sich nicht so sehr zu, dass Russland alle Hähne abdreht. Nur mit Nordstream 1 sind wir jetzt abhängig von Polen und einigen baltischen Staaten, die sich nicht gerade als zuverlässige Partner innerhalb der EU gezeigt haben. Sondern eher als Schmarotzer, die jede beliebige Gelegenheit nutzen, um die übrigen EU-Staaten zu erpressen.

Sollte Russland die Hähne komplett abdrehen, dann würden nicht nur mehr als 10 % unseres Stroms wegfallen, sondern Tausende Haushalte hätten dann weder Gas zum Kochen noch zum heizen. Alleine in Mannheim dürften es einige 1000 Haushalte sein, die davon betroffen wären. Wohnen die Klimaaktivisten schon alle in Passivhäusern? Oder ist es ihnen der Protest wert, zu frieren?

Natürlich geht es letztendlich darum, gänzlich unabhängig von Öl und Gas zu werden. Und möglichst auch noch von Strom, der importiert werden muss. Da von früheren Bundesregierungen in der Beziehung aber sehr viel verschlampt wurde, lässt die augenblickliche Situation nicht viel mehr zu als Planungen für die Zukunft. Das macht uns politisch ganz nebenbei auch erpressbar. Aber auch an dieser Situation ist nichts neu, wir wurden auch schon oft genug von der OPEC erpresst. Indem man eine Abhängigkeit durch eine andere ersetzt, wird man nicht plötzlich unabhängig.

Vieles Protest Geheul, gerade in Großstädten, denn dort scheint man besonders weit weg von der Realität zu sein, übersieht gänzlich die Realitäten. Die EU hat sich eine ambitionierte Frist gesetzt, um Wohnhäuser möglichst energiesparend zu sanieren. Lassen wir mal dahingestellt, ob diese Ziele auch nur halbwegs realistisch sind, denn ich nehme an, dass es längst nicht genügend Handwerker gibt, um vor Ort diese Ziele auch nur halbwegs umsetzen zu können. Aber es ist typisch für Politiker zunächst alles zu ignorieren und dann unrealistische Pläne zu machen. Damit sind die Politiker genauso realitätsfern wie so manche Gruppen, die auf die Straße gehen. Und Autoren, wie beispielsweise hier auf Telepolis, die solchen kleinen Gruppierungen eine Plattform bieten. Wir werden auch in Zukunft Energie benötigen, um unsere Häuser zu heizen. Denn Passivhausstandard lässt sich nachträglich nur bei ganz wenigen Häusern herstellen. Übrigens brauchen auch Passivhäuser Energie in Form von Strom.

Ich frage lieber keinen Friedens- oder Klimaaktivisten, was er jemandem mit einem gebrauchten Diesel, der irgendwo zwischen 30 und 50 km einfachen Weg zur Arbeit hat und unter dem Strich knapp über dem Existenzminimum verdient, zu den gegenwärtigen Benzin und vor allem Diesel Preisen sagt. Ein Aktivist täte auch besser daran, einen Betroffenen nicht zu fragen, denn es würde die Gefahr bestehen, dass der Aktivist die Frage nicht überlebt.

Die 100 Milliarden für die Bundeswehr wären auf jeden Fall sehr viel besser investiert, wenn man damit so schnell wie möglich unsere Energieabhängigkeit deutlich reduzieren würde. Oder hat Herr Scholz die Idee, nun doch noch ein spätimperialistischer Staat zu werden, der mit militärischen Mitteln erpresst, was die Menschen hier brauchen? Mit dem Weißbuch der Bundeswehr hätte er ja schon die gesetzlichen Mittel, wenngleich er massiv gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Doch getreu einem früheren CDU-Politiker, man könne doch nicht erwarten, dass man mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumläuft.

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