Ansicht umschalten
Avatar von
  • unbekannter Benutzer

mehr als 1000 Beiträge seit 14.01.2016

Re: Lücke

Pnyx (1) schrieb am 04.11.2023 18:42:

Russland ist kein Kolonialreich.

Selbstverständlich ist es eins.
Die Gebiete jenseits des Urals wurden nie kulturell oder wirtschaftlich integriert, sondern lediglich ausgebeutet; die Einheimischen wurden besteuert, es gab ein Netz von Garnisonsfestungen, die Aufstände verhinderten, und sie Russen haben bei Bedarf auch die Einheimischen gegeneinander aufgehetzt.
Rechte? Gab es in Russland fürs einfache Volk eh nicht viel, aber die im Osten hatten nur das Recht, gefälligst ihre Steuern zu zahlen: Die sibirischen Pelze waren extrem dicht und fein und ließen sich für ein Heidengeld in den Westen verkaufen, die russische Oberschicht ist damit stinkend reich geworden: In heutigem Geld waren die russischen Fürsten Millionäre, die Zaren Milliardäre.

Nicht, wie Zygar russischen Historikern in den Mund legt, um es dann als unsinnig verwerfen zu können, aus irgendwelchen, offensichtlich arbiträren geographischen Gründen. Der entscheidende Unterschied ist, ob eroberte und annektierte Bevölkerungen ins Staatsrecht aufgenommen werden, also die gleichen Rechte haben, wie das erobernde Volk.

Also, im russischen Reich war das definitiv nicht der Fall.
In der Sowjetunion hatten sie tatsächlich auf dem Papier gleiche Rechte. Unter Lenin funktionierte das auch in der Praxis, so einigermaßen, unter Stalin war es damit rasch vorbei, nach Stalin war die Gegend hauptsächlich wegen Bodenschätzen interessant und die Einheimischen immer noch Bürger 2. Klasse (wenn auch nicht auf dem Papier), seit Putin sind sie Kanonenfutter.
Richtig. Wären sie auf Augenhöhe mit ethnischen Russen: Warum vermeidet Putin, ethnische Russen zu rekrutieren oder einberufen, lockt aber hemmungslos die anderen Völker an, um sie im Krieg zu verheizen? Weil er Angst vor dem Unmut der ethnischen Russen hat, aber keine Angst vor dem Unmut der anderen Völker.

Doch. Selbstverständlich ist das ein Kolonialreich.
Es ist halt kein Meer zwischen Mutterland und Kolonien, und deshalb fällt es nicht sofort auf.
Aber statt des Meers haben die Russen eine andere Form von Reisehindernis: Wer als Bürger in Russland reisen will, braucht eine behördliche Genehmigung.

Dies unterscheidet das russische, ebenso wie das römische Reich der Kaiserzeit vom britischen, französischen oder spanischen Imperium, in denen nie daran gedacht war, allgemeines gleiches Bürgerrecht zu verleihen.

In Russland wurde immerhin daran gedacht, aber nie ernsthaft umgesetzt.

Im Bezug auf die heutige Kriegssituation ist es, wohl gewollt, kurzsichtig, allein auf das Verhältnis Russland - Ukraine zu schauen, ist doch der entscheidende Kriegsgrund der Versuch des westlichen Imperiums, also einer äusseren Macht, die Ukraine ihrem Hinterhof anzugliedern. Es ist aktenkundig, dass Putin stets klar gemacht hat, dass jeglicher Versuch, die nato auf die Ukraine auszudehnen einen Kriegsgrund darstellt. Auch Gorbi hat die diesbezüglichen Versuche scharf kritisiert und sich vom Westen hintergangen gefühlt.

Das stimmt nur bedingt, und in dieser Form überhaupt nicht.
Gorbatschow hat erst nur gegen die NATO-Mitgliedschaft des noch wiederzuvereinigenden Deutschlands opponiert. Er brauchte allerdings dringend Geld, die Sowjetunion stand vor dem Staatsbankrott, und hat sich das abkaufen lassen. Am Ende hat man vereinbart, dass im DDR-Gebiet nur die Bundeswehr stehen darf, solange die russischen Truppen dort nicht abgezogen sind.
( Quelle: https://www.mdr.de/geschichte/zeitgeschichte-gegenwart/politik-gesellschaft/zwei-plus-vier-verhandlungen-deutsche-einheit-nato-osterweiterung-putin-100.html ; bestätigt nicht, dass die Russen mit der NATO-Osterweiterung einverstanden waren, aber auch nicht, dass die NATO gegen Vereinbarungen verstoßen hätten.)

Was die späteren Beitritte der ehemaligen Ostblockländer angeht: Es gab keine Vereinbarung,die nicht in die NATO zu lassen, Russland wurde unter Putin wieder imperialistisch und die Länder wollten unbedingt in die NATO rein, weil sie sonst absehbar unter russische Hegemonie geraten wären (wie es ja auch mit Weißrussland geschehen ist).
Wenn man hier von Verrat reden will, dann muss man das Putin vorhalten: Gorbatschow hat seinem Volk und den Ostblockstaaten Glasnost und Perestroika versprochen, sogar über einen EU-Beitritt hat man ernsthaft nachgedacht; Putin hat das Erbe Gorbatschows zugunsten imperialistischer Träume verraten.

Zygars immanente Herangehensweise blendet die geostrategischen Zusammenhänge aus und ist schon daher komplett unbrauchbar.

Na ja. Genauso könnte man dir vorhalten, dass du die imperialistischen Ziele Russlands ausblendest, und dass deine Aussagen somit nicht brauchbarer sind.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten