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  • juliuscäsar

326 Beiträge seit 19.06.2021

Re: korrekt

cyclist01 schrieb am 29.06.2021 21:07:

Als junge Familie mit Kind bekamen wir 1987 eine grosse Neubauwohnung mit riesigem Balkon in Hellersdorf, nach einem Jahr in 'nem Wohnheimzimmer.
Nach Tausch nach Dresden kam '88 sogar noch ein Garten hinzu, den alle Bewohner unseres Neubauviertels angeboten wurde.

Das sah in den Bezirken vlt etwas schlechter aus, als in der Hauptstadt.

Aber im wesentlichen hatte man durch intensives Neubauen die Situation in der zweiten Hälfte der 80er im Griff endlich.

Das mag in Berlin vielleicht so gewesen sein. Aber "in der Republik" nun ganz sicher nicht.
In der Industriearbeiterstadt Halle / Saale, in der ich die 80er Jahre verbrachte, gab es solch schweren Wohnungsmangel, dass mehrere meiner Arbeitskollegen als erwachsene, verheiratete Männer noch immer bei ihren Eltern wohnen mussten (und ihre Frauen bei ihren eigenen Eltern).
Auf den kilometerlangen Wartelisten standen sie dabei schon ganz vorn: als "Produktionsarbeiter", als Verheiratete, als junge Eltern mit Kindern.
Nützte nur nichts, denn die drei Neubaugebiete der Stadt (Silberhöhe, Halle-Neustadt und Südstadt) wurden zwar im Eiltempo ausgebaut (und in miserabler Qualität), aber es reichte hinten und vorne nicht.
Es war auch nur schwer möglich, in eine andere Stadt zu ziehen. Was viele vergessen zu haben scheinen: NEU Zugezogene wurden in die Wartelisten der Kommunalen Wohnungsverwaltung gar nicht aufgenommen (oder hatten eine Wartezeit von 5 Jahren, um überhaupt auf die Liste zu kommen!)
So geschehen in Leipzig, in Magdeburg, Suhl, Erfurt, Gera, Schwerin.
Wenn man in der Chemie arbeitete (Buna-Werke Halle, Leuna-Werke), konnte man auch nicht einfach so ins Chemiekombinat Bitterfeld wechseln - denn es gab in und um Bitterfeld und Wolfen NOCH weniger Wohnungen als in und um Halle.
Ein Kollege versuchte, in eines der umliegenden Dörfer zu ziehen. Das scheiterte an der dort nicht vorhandenen Wohnung, und auch daran, dass er von diesem Dorf aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Buna-Werke gar nicht erreichen konnte.
Ein Auto hatte er nicht, nur ein Moped ("Schwalbe"). Im Winter mit dem Moped von Z. bis zu den Buna-Werken ... Beinahe 70 Kilometer über verfallene Straßen. Bei Schnee, Graupel, Eisglätte ... Morgens die Stadt Halle dabei umfahrend, denn sonst wäre er im Berufsverkehr steckengeblieben ... War keine Lösung. Er wäre etwa drei Stunden unterwegs gewesen (er hats ausprobiert). Für eine Strecke!

Ich persönlich musste in Halle 1982 in eine sogenannte "Ausbauwohnung" ziehen. Das waren Wohnungen in verfallenen Altbauten, die von der Kommunalen Wohnungsverwaltung längst komplett aufgegeben worden waren. Da wurde nichts mehr repariert, da wurde nichts mehr instandgehalten. Wenn man eine solche Wohnung ergattern konnte (war ja besser als nichts), dann hatte man auch selbst dafür zu sorgen, dass sie in einen bewohnbaren Zustand versetzt wurde. Was das bei der Materialknappheit in der DDR (es gab ja manchmal jahrelang nicht einmal Dachpappe zu kaufen!) bedeutete, kann sich wohl kaum ein verwöhnter, mit dem Sozialismus liebäugelnder Jungwessi vorstellen ...

Für die DDR-Nostalgiker: JA, es gab auch andere, glücklichere DDR-Bürger. Die ziemlich schnell eine ordentliche Wohnung bekamen. Meiner ganz persönlichen Erfahrung nach waren das fast immer ganz besonders ... systemtreue Bürger. Parteigenossen oder deren erwachsene Kinder zum Beispiel. Oder Mitarbeiter der "bewaffneten Organe" und deren Angehörige. Die sich dann auch schon mal mit Informationen über Nachbarn und Arbeitskollegen erkenntlich zeigten, die sie den "Organen" aufgefordert oder unaufgefordert zukommen ließen ...
Tut mir leid, aber die DDR war, (nicht nur) was Wohnraum anbelangt, alles andere als ein "Arbeiter-und-Bauernparadies".
Ich hatte mich von 1982-1989 wegen der desolaten Wohnraumsituation in Halle (vorher in Magdeburg) wiederholt an alle möglichen "gesellschaftlichen Instanzen" gewandt, sogar an den Bezirksparteisekretär.
Außer Schweigen oder flapsigen, höhnischen Antworten kam da rein gar nichts.
Also kocht euch eure Verklärung des "Arbeiter-und-Bauern-Paradieses" sauer, ihr Spinner. Wenn ihr in der DDR privilegiert wart, dann hatte das Gründe - und mit Typen wie euch werde ich ganz sicher nicht weiter darüber diskutieren, wie es sich als normaler Arbeiter (wie ich einer war) in der DDR lebte.
Nostalgie-Kommunisten und Retro-Stalinisten haben ja schon immer gern ausgeblendet, DASS und WARUM die DDR-Bürger zu Millionen (von 1949-1989) und oftmals unter Lebensgefahr aus dem Arbeiter-und-Bauern-Paradies flüchteten.

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