Es nimmt langsam absurde bis lächerliche Züge an, für was die Migration der letzten siebzig Jahre alles als Ursache für negative Entwicklungen herhalten muss; auch wenn dafür die Logik, an Händen und Füßen gefesselt, über Bord geworfen wird.
Um die Absurdität der Argumentation im Artikel zu verstehen, benötigen wir leider ein längeres Zitat aus dem "erleuchtenden Traktat":
Selbstverständlich kann damit die Zuwanderung nicht als wünschenswert ausgewiesen werden. Sie sollte sich für alle davon
Betroffenen summa summarum rechnen.
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Betrachtet man sich das mit der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte korrelierte reale Wirtschaftswachstum in
Deutschland, dann scheint die deutsche Migrationssteuerung wenig zu kritisieren sein. Sobald man aber die äußerst schwache
Reallohnentwicklung insgesamt und die Reallohneinbußen der unteren 40 Prozent der Lohnempfänger einerseits und die stark
steigenden Unternehmensgewinne und Kapitaleinkünfte andererseits zur Kenntnis nimmt, wird diese Gewissheit infrage gestellt.
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So zum Beispiel erklären die großen Lohnunterschiede zwischen Deutschland und vielen Herkunftsländer, dass gerade in den
Niedriglohnsektoren, in denen überproportional viele "Ausländer" arbeiten, sinkende Reallöhne bezahlt werden und trotzdem
sich Unternehmen über steigende Gewinne freuen konnten
Da wird also eine relevante negative Korrelation zwischen Migration und Reallohnentwicklung postuliert. Migration ist für den Autor ein wichtiger Grund für die schlechte Reallohnentwicklung der letzten Jahrzehnte und dient der Wirtschaft in erster Linie als Vehikel für Lohndumping.
Dinge wie "schwache und korrupte Gewerkschaften" ("Genossen der Bosse"), fehlender oder zu geringer Mindestlohn, Einführung von Leiharbeit und Werksverträgen, arbeitgeberfreundliche Medien, Kampagnen und zunehmender Lobbyismus(Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft,...), neo-liberale Agenda, Wiedervereinigung und geringe Gewerkschaftsquote im Osten, Lohndruck durch Hartz4/Bürgergeld/1€-Jobs, Verpflichtung zur Annahme eines jeden Job unabhängig von Qualifikation und Bürgergeldkürzung bei Ablehnung und damit Schaffung des größten Niedriglohnsektor in Europa... sind nicht wert erwähnt zu werden.
Warum liegt keine negative Korrelation Migration/Reallohn vor?
Betrachtet man den Zuwanderungsgewinn von 1950 bis heute [1], erkennt man dass ab 1955 bis Anfang der 70er Jahre eine erste große Zuwanderung stattfand. Nach der absurden Theorie des Autor müsste sich für diese Zeit also eine negative Reallohnentwicklung nachweisen lassen.
Dazu kann man sich zum Beispiel die Reallohnentwicklung von 1950 - 1962 betrachten [2] oder die Reallohnentwicklung vs. Arbeitsproduktivität von 1951 bis 1980 [3].
Von 1955 bis 1975 war der Anstieg der Reallöhne, insbesondere im Vergleich zu heute, sehr gut und lag nur wenig unterhalb des Produktivitätsanstieg. Diese stille Verabredung von "Wohlstand für alle", nämlich dass Löhne mit der Produktivität steigen sollten, wurde in den 80er Jahren durch neo-liberale, rechts-konservative Kreise komplett aufgekündigt.
Mit den bekannten Folgen für die Reallöhne, so stiegen die Reallöhne von 1992 bis 2019, also in 27 Jahren, um nur 7,4% [4], aber während der ersten großen Migrationswelle nach Deutschland zwischen 1956 bis 1980 um ganze 21,2% in nur 24 Jahren.
Andererseits fand der größte Reallohnverlust zwischen 2003-2013 statt, einer Zeit in der die Migration eine der geringsten in siebzig Jahren war [1].
Eine negative Korrelation von Reallohn und Migration ist also reine Fiktion und dient nur dazu Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in ein pseudo-legitimes Mäntelchen zu packen.
[1] https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/M01-Zuzuege-Fortzuege-Deutschland-ab-1950.html
[2] https://www.jstor.org/stable/24375053
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/249537/umfrage/historische-entwicklung-von-produktivitaet-und-realloehnen-in-deutschland/
[4] https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/322503/lohnentwicklung-in-deutschland-und-europa/
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (21.10.2024 16:11).