Zunächst vielen Dank für den interessanten Beitrag.
Den nachfolgenden Satz des Textes könnte man wohl als Kernthese des Essays – und damit als Grundlage aller weitergehenden Überlegungen betrachten:
„Nur eine übergeordnete globale Instanz, die mit politischer, ökonomischer und weltpolizeilicher Macht ausgestattet ist – so die hier vertretene These – kann die sich feindlich gegenüberstehenden Kräfte in Formen friedlicher Kooperation überführen.“
Aber kritisch muss man fragen: gab es so etwas jemals außerhalb von Utopien? Und wenn ja: real länger als eine gedachte historische Sekunde? Aus welchem Grund wäre nun auf eine solche „globale Macht“ zu hoffen?
Ich fürchte, hier liegt ein Zirkelschluss vor:
Wer, außer den „sich feindlich gegenüberstehenden Kräften“, die im Beitrag zutreffend als die dominierenden imperialen Mächte beschrieben werden, sollte eine solche „übergeordnete globale Instanz“ mit den geforderten Machtbefugnissen „ausstatten“(!)? Und weiter: welches Interesse sollten diese „Kräfte“ an dem damit für sie verbundenen Macht- und Dominanzverlust haben? Welcher treibende „Mechanismus“ würde eine solche Selbstentmachtung bewirken?
Gibt es denn irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Großmächte auch nur bereit wären, sich der internationalen Gerichtsbarkeit von Den Haag zu unterwerfen? Gibt es eine auch nur entfernt realistische Roadmap für die Durchsetzung einer solchen Unterwerfung? Aber „wir“ erhoffen eine durchsetzungsfähige „Weltregierung“?
Diese grundlegenden Fragen wären zu beantworten, bevor man sich dem Thema widmet, wie eine „übergeordnete globale Instanz“ mit „weltpolizeilicher Macht“ rechtlich und technisch konstruiert und ausgestattet sein sollte.
Der im Beitrag bemühte Einfluss von Zivilgesellschaft, NGO`s und Friedensbewegung – alles gut und schön. Aber selbst wenn man dort die erforderliche „kollektive Weisheit“ unterstellen möchte – wie soll das machtarithmetisch funktionieren?
Wenn es den vor allem in Imperien organisierten und gebundenen globalen Zivilisationen gelingen sollte, trotz der im Essay anschaulich beschriebenen Gefahren, wenigstens die nächsten 100 Jahre einigermaßen heil zu überstehen, dann weil (letztendlich) die Machthabenden in den verschiedenen Imperien (inzwischen einschließlich „privater Imperien“) über das Ob und das Wie so entscheiden werden, und zwar untereinander – und sowohl die „demokratischen“ wie die „autokratischen“.
Um es mal in Worte zu fassen, die auch Frau Baerbock verstehen könnte, wenn sie sich Mühe gibt: „Friede“ entsteht real meistens, indem sich reale „Schurken“ darauf verständigen.
Einzig die rationale Erkenntnis, dass die unkontrollierte Konflikteskalation den eigenen Untergang befördern wird, vermag dort, wo „die Würfel fallen“, vernünftigem, auf Interessenausgleich gerichtetem Handeln zum Durchbruch verhelfen. Das ist seit Hiroschima nun mal unabweisbar.
Sicher, kleinere Staaten und Staatenverbünde, ebenso nationale und internationale Organisationen haben zumindest die Chance, darauf in begrenztem Rahmen Einfluss zu nehmen. Aber werden sie in der Lage sein, eine wirkmächtige „übergeordnete globale Instanz“ mit rechtlichem und faktischem Gewaltmonopol durchzusetzen? Erleben wir nicht gerade sogar in den vergleichsweise übersichtlichen nationalen Strukturen, wie Anfällig diese Konstrukte sind?
Zutreffend räumt der Autor zum Ende seines Beitrages ein, es handele sich um eine utopische Überlegung. Das aber wäre mir angesichts der außerordentlich kritischen aktuellen Lage und der nicht minder kritischen (insbesondere) technologischen Perspektiven doch zu „bescheiden“.
Im Grunde müssen sich unsere Zivilisationen zu einer Situation verhalten, die nahezu aussichtslos ist.
Besser als auf das „Erscheinen“ einer „übergeordneten globalen Instanz“ zu hoffen, dürfte es daher sein, Europa als mittlere Macht mit einer erklärtermaßen auf Interessenausgleich und Vermittlung ausgerichteten Politik zu entwickeln. Unter dieser – und nur unter dieser – Voraussetzung wäre zu überlegen, welche (u.a.) militärischen Fähigkeiten dazu erforderlich sind. Ein „europäischer Atomschirm“ gehört sicher nicht dazu – würde er doch zur weiteren atomaren Aufrüstung und zur weltweiten Weiterverbreitung von Nuklearwaffen beitragen.
So unpopulär es gerade erscheinen mag: zur zwischenstaatlichen (bzw. „zwischenimperialen“) Entspannungspolitik als Basis internationaler Kooperation, gibt es wohl keine Alternative – selbst wenn sie ein stets brüchiges und widerrufbares Projekt bleiben wird. Immerhin hat sie uns, unter gleichfalls schwierigen Bedingungen, schon einmal für mehrere Jahrzehnte relativen Frieden ermöglicht.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (09.01.2024 00:54).