Ramjet schrieb am 19.04.2022 18:01:
Kennedy wurde von den Russen damals nicht gereizt, sie haben seine Sicherheitsinteressen (ob jetzt aus Angst - Irrsinn Kennedys oder berechtigt) berücksichtigt und sind schlauerweise erst mal abgezogen. Warum? Weil er ein ideologischer Feind war und die Befehlsgewalt über das US - Atomwaffenarsenal hatte und eine für Russland tödliche Eskalation drohte.
Ich denk, das war nicht Irrsinn, sondern der Unwille, eine drastisch zum eigenen Nachteil veränderte Sicherheitslage zu akzeptieren.
Es IST auch schwierig, so etwas zu akzeptieren.
Beim Blick auf Putin herrscht die Einstellung vor, "Der ist doch jetzt auf unserer Linie und nur noch ein niederrangiger Kapitalist und Rohstofflieferant mit Kleptokratenfreunden, den haben wir im Sack, wir sind das kapitalistische Urgestein und zeigen ihm wo es langgeht!
Das war so die Haltung vor dem Einmarsch in die Ukraine.
Unser neukapitalistischer Lehrjunge braucht mal eine Tracht Prügel!"
Das war nie die Haltung.
Angst - Irrsinn auf der russischen Seite, euphorischer Größenwahn - Irrsinn auf der westlichen Seite.
Die russische (angenommenermaßen eher Putinsche) Angst ist eigentlich kein Irrsin, sondern das Nichtakzeptierenwollen von Abstrichen beim Sicherheitsgefühl. In der Tat gar nicht so viel anders als Kennedys Reaktion auf Kuba, aber eben nicht Irrsinn.
Der euphorische Größenwahn der Europäer kommt eher daher, dass man sieht, wie sehr sich die russische Armee in der Ukraine blamiert. Man will immer noch keinen Krieg, und man sieht auch, dass ein einzelnes Land gegen Russland einen überaus schweren Stand hätte, aber die EU bzw. die NATO wird das militärische Drohpotenzial der Russen auf Jahrzehnte nicht mehr Ernst nehmen.
Das einzige, was die Russen davor bewahrt, ausgelacht und massiv gedemütigt zu werden, ist ihr Atomwaffenarsenal. Aber selbst dort wird man sich im Westen mittlerweile die Frage stellen, wie viel davon überhaupt einsatzfähig ist... nur das halt selbst ein einziger Atombombentreffer schon als zuviel empfunden würde, und das ist dann auch schon der ganze Grund, warum man nicht einfach die Ukraine zum temporären Mitglied der Nato erklärt und einfach über Weißrussland und Russland drüberwalzt.
Und ich weiß nicht mal so recht, ob die Unmöglichkeit so eines Krieges eine gute oder eine schlechte Sache wäre. Auf der Minusseite gewaltige Kosten an Reichtum und - wichtiger noch - Leben und Gesundheit, und dass Nation Building eigentlich nicht funktionieren kann; auf der Plusseite die Erfahrung, dass es dann, wenn der Verlierer wirklich komplett gedemütigt ist und obendrein moralisch ganz schrecklich im Unrecht war, es so laufen könnte wie mit Nazideutschland, das zwar kein Musterstaat geworden ist, aber doch besser als viele andere Staaten. (Vermutlich unterm Strich trotzdem lieber bleibenlassen. Das Risiko einer Pleite ist einfach zu hoch. Und das Ganze ist angesichts der Atomwaffen sowieso ein rein theoretisches Konstrukt.)