Ansicht umschalten
Avatar von franziska (1)
  • franziska (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 15.04.2016

Kap. ist ein Mangelzustand, in dem Sinn: nicht "abzuschaffen"

Ich versuch mal, die entscheidenden Divergenz-Punkte anzusprechen, Abbreviatus.
(Vielleicht findet auch Aletheius im folgenden was passendes für sich...)

Du warst schnell zu haben für den "materialistischen" Gedanken (ich geb ihn gleich mal in deiner Version wieder): "Natürlich": Das System braucht Menschen.
Deine spezielle Version einer "Systemtheorie" beschreibt "die Verhältnisse" genauer als eine Art des Zusammenwirkens von Mensch und System, die Leute machen MIT, das sogar aus eigenem Antrieb, nachdem sie die Grundsatzentscheidung zum "Dafürsein", "das Beste draus machen" getroffen haben. (Das steht so nicht alles in deinem Text, ich erlaube mir aber spätestens nach dem Verweis auf Huiskens, dir an dieser Stelle GSP-artige Standard-Formeln für den behaupteten Sachverhalt unterzuschieben.)
Ich denke, dass die Krisis-Leute (Tomasz Konicz steht denen, soweit ich weiss, nahe) in IHRER Version einer Systemtheorie, und da sind sie nicht einzigen "marxistisch" inspirierten Theoretiker, die Gewalt des Systems über das Innere der Leute viel ausgeprägter betonen, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Jemand der hier schreibt, und eine ganz eigene, durchaus auch sich an GSP Sätze anlehnende Theorie der Verhältnisse vorträgt, Thomas A. Grün (eingeben in die TP Suchmaske, und unter Menü-Punkt "Foren" suchen lassen), sieht die Leute vor allem in einem äusseren Gewaltverhältnis gefangen - sie ergreifen gewissermassen nur einfach nicht die ihnen zu Gebot stehenden Optionen einer revolutionären Gegenoffensive gegen ihre Unterdrücker.
Wiederum bei www.neoprene.blogsport.de wird mit fürchterlicher Ausdauer hin und her diskutiert, wie hoch nun der Systemanteil, und wie hoch der des Machens und MItmachens ist - welche Formel denn nun die richtige ist für DEN Begriff DER Verhältnisse.
(Diese Obsession, einen solchen DEN Begriff DER Verhältnisse anzugeben, rührt daher, dass alle Beteiligte in Gestalt der vorliegenden Marxschen Kritik der Pol.Ökonomie (bekanntlich unvollendet) das aus ihrer Sicht gelungene Anfangsstück einer Systemtheorie in Händen halten, zu dem sie das passende Endstück suchen. Meine abweichende Meinung bezieht sich nun nicht nur auf die "An- und Endstück"-Versuche, sondern den Anfang bei Marx selbst, also die Kapital-Theorie, die Beschreibung der Spielregeln. Nicht um radikales Linkssein zu kritisieren, allerdings; denn ich kritisiere hier meinerseits von einem radikal linken Standpunkt andere radikale Linke.)

Ich sage: Die Debatten bei Neoprene wären auf der Stelle gelöst, wenn man sich drauf besinnen würde, dass in dem gemeinsamen Systemzusammenhang, in dem die Leute allesamt stehen, es ganz unterschiedliche Gruppen von Einstellungsträgern gibt (also nicht einen Schwarm, sondern viele; nicht einen Zell- und Gewebetyp, sondern viele - um in deinem Bild zu bleiben), die ganz unterschiedliche Meinungen über diesen Zusammenhang, und damit verbundene praktische Strategien einschlagen.
Freilich schlagen sich die Unterschiede der Strategien zum wenigsten in sichtbaren Handlungen nieder (eher in Unterlassungen); so, wie ihre Strategien sich in sehr unterschiedlichen Wirk-Räumen entfalten, die vielen ohnehin kaum eine Wahl lassen, egal was sie sich sonst denken mögen.
Aber genau in diesem Bereich der Begründungen des Handelns setzen ja die Kritiker praktisch an; und in diesem Bereich (der Vielfalt der Begründungen) sehe ich auch das riesige theoretische Defizit (das "Dunkelfeld" habe ich es anderswo genannt) der bisherigen radikal linken und generell jeder Theorie "der" gegenwärtigen Verhältnisse.

Denn da ist ein erster Dissens festzuhalten:
Diese Verhältnisse sind nicht "entstanden", und "sie" erhalten auch nicht einfach "sich".
Sie sind, bei allen Schäden, die dabei erwarfet wurden, oder auch nicht, und, gleich ob erwartet oder nicht, repariert (durch Sozialversicherungen, Auflagen für Gewerbe und Arbeitsverhältnisse; Gewerkschaften usw) oder bedauernd inkaufgenommen wurden, von EINIGEN, nämlich hinreichend vielen, die auch die Chance dazu hatten, genau so gestaltet und eingerichtet worden - mit Gründen; andere haben dabei mitgeholfen und die zumindest die Befürwortung dieses Gestaltens selbständig mitgetragen, wieder andere mitgestaltet und/oder mitgemacht, die die Begründungen nicht GANZ so gut kannten, aber autoritär den eigentlichen Gestaltern und deren (unvollständigen) Erklärungen getraut haben. Noch andere kennen die Erklärungen für die Spielregeln nicht gut genug, oder haben sich nie dafür interessiert, beherzigen sie aber und richten sich danach, einfach weil es "nun mal" die gegebnen sind und die (und soweit sie) dabei einen Vorteil für sich sehen.(verglichen mit aus ihrer Sicht allenfalls bestehenden Alternativen).
Dann sind da solche, die die Verhältnisse (mit wiederum ganz unterschiedlichen, und unterschiedlich gut fundierten Gründen) bzw deren Zweckmässigkeit bezweifeln oder sie sogar ablehnen, aber angesichts der Verhältnisse (wie die andern drei Gruppen sie erzeugen und reproduzieren) keinerlei Chance sehen, aus ihrer Opposition etwas zu machen; schliesslich die (in sich höchst inhomogene) Gruppe der Gegner, die angesichts der Übermacht der andern vier Gruppen derzeit objektiv keine Chance haben, ihre andersartigen Vergesellschaftungskonzepte durchzusetzen oder auch nur den andern eine Stellungnahme dazu abzuverlangen. (Dass mit ihnen niemand redet, stattdessen man sie lieber polizeilich überwacht und zur Not ausser Gefacht setzt, gehört mit zu den Eigenarten des derzeitigen Gesellschaftszustands).
((Jede der genannten Positionen kann zu beliebigen Einzel-Themen, die mit "den Verhältnissen" verbunden ist, eingenommen werden, und eine Einzelperson kann hunderte solcher Einstellungen angesichts hunderter solcher Themen haben: einer Gerichtsentscheidung, einem Gesetz, einer Regierungsmassnahme, einem aufgetretenen Misstand (aus ihrer Sicht) gegenüber, der (aus ihrer Sicht) behoben gehört, oder einer ganzen, aus ihrer Sicht regelhaft, gesetzmässig zu erwartenen Reihe solcher Misstände, gegen die ebenso regelhaft vorzugehen ist usw)

Nun scheine ich mir zu widersprechen, denn ich hatte in meinem Text zugegeben: Ja es GIBT ein System, und: ja man KANN etwas erwarten.
Das, was ich erwarte, ist: Dass Vergesellschaftung, die so eingerichtet ist, wie die derzeitigen in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften (demokratisch/marktwirtschaftlich), die Erwartungen fast aller derer, die sie befürworten,
enttäuschen werden.
MEINE Gegenwette lautet also: Die Verhältnisse leisten nicht, was ihre Befürworter (mit mehr oder weniger korrekter Einsicht in das Funktionieren dieser Verhältnisse, mehr oder weniger ausgefeilten, kenntnisbasierten und durchdachten Begründungen) sich davon versprechen.

Und hier ist die zweite Differenz zu dir, Abbreviatus. Du sagst, das System HAT einen Zweck. Ich fasse das mal als Kurzformel für folgende explizitere Fassung desselben Gedankens auf:
Das System (die Spielregeln) zwingt allen Beteiligten auf, bestimmte Zwecke zu verfolgen, sobald sie andres wollen, verstossen sie massiv gegen die Spielregeln, mit der Folge, dass ihnen Handlungsspielräume verloren gehen (Geld, Kapital, Arbeitsplatz verloren) und/oder ihre anstössigen Handlungen mit Gewalt unterbunden werden (da illegal).
Aber diese Darstellung vereinnahmt unter den von mir genannten Gruppen viel zu viele.
Als "gezwungen" kann man nur die letzten drei Gruppen (berechnende Systemnutzer; resignierte und ohnmächtig-entschlossene Systemgegner) bezeichnen, und auch da nimmt der Zwang durchaus unterschiedliche Gestalt an.
Und natürlich ist die BESCHREIBUNG der Verhältnisse aus meiner Sicht eine ganz unterschiedliche, je nachdem, welche Verteilung der Bevölkerung auf die 5 Gruppen, sofern Leute ÜBERHAUPT Stellung zum Ganzen "ihrer" Verhältnisse nehmen (selten genug!). man dabei voraussetzt.
(Dieses garnicht erst Stellung nehmen, sich nicht kümmern, kein Urteil gebildet haben usw ist sogar eine der wichtigsten Stellungnahmen überhaupt!)
Und eine THEORIE der Verhältnisse, die all diese SUBJEKTIVEN Einstellungen nicht hinlänglich kategorial erfasst und es schafft, das GANZE der Verhältnisse aus dem Zusammenwirken von Handlungen so motivierter Einzelpersonen (und Gruppen) zu erklären - eine solche Theorie liefert keine Erklärung, es IST garkeine Theorie der Verhältnisse.
-----------------------------------------------------
Das würde als erste Erwiderung fürs erste zwar schon reichen.

Aber auch hier will ich nochmal "nachlegen".

Das "Angebot" oder auch der Zwang zu konkurrieren, kann und darf jederzeit unterlaufen werden durch hinlänglich durchsetzungsfähige Zusammenschlüsse hinlänglich vieler.
Das Musterbeispiel sind Gewerkschaften und der von Marx und Marxisten so stark akzentuierte Klassenkampf. (Der kann auch darin bestehn, dass man "normale" Konkurrenzbedingungen gegen die allfällige Tendenz des Rückfalls in quasifeudale Abhängigkeitsverhältnisse wieder oder allererst herstellt.)
Insofern könnte man beinah ironisch sagen: Kapitalismus ist die Folge eines Mangels an Kommunismus, und kollektiv abgestimmter Aktion. (Und manchmal oder sehr oft ist Kapitalismus sogar noch die Abwesenheit von Kapitalismus, vgl. die Bemerkung zum Klassenkampf eben.)
Den Kap. in diesem Sinn als Mangelzustand, negativ, zu bestimmen, hat die Konsequenz, dass es da nichts gibt, durch dessen "Abschaffung" man weiterkäme. Beseitigt wird der Mangel dann folgerichtig nur durch den AUFBAU von etwas - kollektiver Verständigtheit, kollektivem Lern- und Handlungsvermögen. Man muss das nur aussprechen, um zu sehen, dass davon heute null und nichts zu bemerken ist.
---------------------------------------
Es ist nun aber ein wesentlicher Zug jeder Erklärung, die so ,wie von mir eingefordert, "materialistisch" aufgebaut ist, "die Verhältnisse" (eben weil sie Ergebnisse von Handlungen und Handlungsweisen sind) AUCH durch das zu erklären, was in ihnen derzeit noch verständlicherweise NICHT getan (sondern unterlassen) wird:

Unter bestimmten Voraussetzungen (die zu nennen sind), IST es somit zu erwarten (mit Klauseln versehen wie: wenn da überhaupt noch Spielraum besteht; wenn da überhaupt noch vernünftige Subjekte vorhanden sind); und diese Erwartung muss selbstverständlich begründet sein.

Die gegenwärtigen Unterlassungen sind, je nach Gruppe, unterschiedlich beschaffen:
die Befürworter täuschen sich, was das Ausmass der "Netto"-Schädlichkeit des Systems angeht.
Die Berechnenden schätzen den Lohn ihres Mitmachens falsch ein.
Die Gegner... sind sich nicht einig untereinander (so wie wir hier) in der Beschreibung des Abzuschaffenden und seinerseits zu Unterlassenden, sowie in der Beurteilung ihrer Chancen, andere (hinreichend viele) für ihren Standpunkt zu gewinnen.

Speziell den radikalen Linken unter den Gegnern gelingt es derzeit nicht (und aus guten Gründen, wie ich finde), Zweifel an der von ihnen befürworteten Alternative auszuräumen. Ich glaube, nirgendwo ist darüber ehrlicher debattiert worden als in den einschlägigen threads bei Neoprene.

Dieses, ich nenne es mal: Versagen an der Aufgabe einer vollständigen Kritik, beruht auf der ebenso unvollständig ausgeführten Kritik der Politischen Ökonomie.

Kurz gesagt:
Die Ausbeutung und Ungleichheit (als Folge der "Freiheit"), und die immerzu (im besten Fall nacheilend, politisch und/oder durch privates Engagement, notdürftig) zu reparierenden Folgen der derzeitigen Gleichgültigkeit von kapitalistisch organisierter Reproduktion gegen jede "soziale Ein- und Vorsicht" (Schädigung von Mensch und Natur; Unfähigkeit, Entwicklungsgefälle zu beseitigen) - sie sind, unter verschiedenen legitimatorisch beschönigenden Titeln, in die Rechtfertigung der Verhältnisse heutzutage längst einbezogen: als notwendige Übel, die eingestandenermassen als beinah unvermeidliche inkaufzunehmen sind für die EINE weiterhin behauptete Leistung "des Systems", nämlich:
Mit ungeheuren Kosten und Umwegen, unkoordiniert, nicht oder kaum vorausschauend, hoch riskant usw, so gerade eben das Zustandekommen weiteren technologischen Fortschritts (marxistisch: die Entwicklung der Produktivkräfte) auf Basis des erreichten Niveaus in all den gigantomanen Formen, die die (erweiterte) Reproduktion in den modern-globalisierten Industriegesellschaften angenommen hat, hinzubekommen.

Der marxistische Titel für die ökonomische Form dieser materiellen Bewegung ist: Akkumulation.
Man muss sich DIESEM (als Legitimation angeführten) Zweck, unter Absehung aller andern, verschrieben haben, um diese Art der Rechtfertigung und alle damit für inkaufzunehmend erklärten monströsen Schäden zu akzeptieren.

Ich sage: "Krisen" sind die Bewältigung der (durch Kredit überdeckten, zeitlich verzögert eintretenden) Folgen der Ungeplantheit, Unkoordiniertheit und natürlich auch der Rücksichtslosigkeit dieses Prozesses gegen alle seine eignen Voraussetzungen.
Er schleppt sich halt einfach weiter, zunehmend mehr beschädigt durch all das sich anhäufend Nichtbewältigte in ihm. (Das reicht völlig; die Profitrate und Profitmasse sinken dann irgendwann auch. Die organische Zusammensetzung muss dafür garnicht bemüht werden, und kanns wahrscheinlich auch nicht. Spezialthema.)

DER Zweck aber, oder die Zwecke, auf die man dieses endlos in sich selber mündende Fortschrittsgetriebe, als Mittel, vernünftigerweise beziehen müsste, derart dass man gezielt Mittel auswählen und erarbeiten könnte:
- Beziehung auf Bedürfnisse;
- Beziehung auf Natur (als zu erhaltende Existenzvoraussetzung)
- Beziehung auf Ungleichzeitigkeiten in der planetaren Bevölkerung -
(ich sage: Bedürfnisse würde schon völlig reiche, um die andern beiden mit abzudecken) -
dieser Zweck kann heute nicht mal im Ansatz (s.o.) von irgendjemandem gesetzt werden:
Weil er und sie zum Ganzen der Riesenpproduktion nichtmal im Ansatz ein Verhältnis hat, und man nicht wiess, wie das je möglich seih soltle (in ihrer gegenwärtigen Form ist sie für solche Beherrschbarkeit und Gestaltbarkeit durch irgendjemand, gleich wen, viel zu gross);
und:
Weil selbst dann er oder sie sich mit so gut wie keinem zweiten einig wäre.
Die (nicht nur theoretische, sondern brennend praktische) Frage wäre: Unter welchen Voraussetzungen wäre das nicht mehr so?
----------------------
Nach allen Desillusionierungen, die Kap.Befürworter (meist, heutzutage, eingestandermassen) hinnehmen mussten, und die sich auf die Tauglichkeit des Kap. für die genannten weiterführenden Zwecke bezogen...
(zB: befördert zunehmende Freiheit für immer mehr Leute, sich um die je eigenen Bedürfnisse zu kümmern;
befördert technologischen Fortschritt ohne Schäden;
behebt weltweit Entwicklungsgefälle) -
... ist die letztverbliebene, dass Kap. überhaupt Reproduktion, einfache und/oder zusätzlich erweiterte, und Akkumulation, auf dem erreichten Niveau zustandebringt.
Und (so sage ich) nicht mal das schafft er noch allzulang.

(Und, ums nochmal hinzuzufügen: Er kanns nicht, das ALLES nicht, weil er eben keinen Ersatz für den "fehlenden Kommunismus" (kollektives Wissensverarbeiten und darauf beruhendes Planen mit Blick auf die oben genannten drei Zwecke) darstellt. Nicht nur daran versagt er; sondern zunehmend an dem, was er - allenfalls - über eine gewisse Zeitdauer weg, mit immer monströseren Kosten und Umwegen, grad eben zu leisten imstand war: Immer-weiter-Entwicklung der Produktivkräfte; Reproduktion des status-quo angesichts der bereits aufgehäuften Risiken und aufgeschobenen Problemlösungen.)

PS: Niemand muss sich bemüssigt fühlen, auf diesen Text noch zu antworten. Man kann mich auch privat anschreiben, um die Debatte fortzuführen. Frühere Beiträge von mir bei TP zu verwandten Themen findet man unter meinem Nick (in die Suchmaske eintippen, unter Menü "Foren" suchen lassen).

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (18.08.2016 12:04).

Bewerten
- +
Ansicht umschalten