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  • Dies Irae

355 Beiträge seit 30.08.2011

Ein Vorteil, der kaum zur Sprache kommt...

...in der Berufspraxis aber von entscheidender Bedeutung sein kann: Die Fähigkeit, einen strukturierten Tagesablauf einzuhalten, kann man durchaus verlernen!

Ich spreche hier aus mehrfacher persönlicher Erfahrung. Bei meinem früheren Arbeitgeber bestand regelmäßig Bedarf an Arbeitskräften für relativ einfache Tätigkeiten, die auch von gering Qualifizierten nach kurzer Einarbeitung ausgeführt werden konnten. Zur damaligen Zeit war ich grundsätzlich nicht abgeneigt, auch Langzeitarbeitslosen eine Chance zu geben. Solange Persönlichkeit, Auftreten und Motivation die Bewerber nicht gleich zu Anfang disqualifiziert haben, durften sie die Jobs ohne Vorbehalte antreten.

Diese Leute waren in der Regel sehr dankbar für die gebotene Chance, tatsächlich auch sehr motiviert und bereit, wieder etwas zu leisten. Allerdings kamen viele davon einfach nicht mehr aus ihrem "Hartz-IV-Tran" (man verzeihe mir den Ausdruck) heraus. Bei manchen war der Zeitpunkt nach wenigen Tagen, bei einigen erst nach Wochen erreicht. Die Symptomatik war aber immer die gleiche: Die Leute waren nicht mehr in der Lage, regelmäßig zu einem definierten Zeitpunkt aufzustehen und pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen. Oder sie hielten die ganze normale 40-Stunden-Arbeitswoche einfach nicht durch und verabschiedeten sich Mitte der Woche bereits ins Wochenende. Letzten Endes musste ich mich wieder von ihnen trennen, weil wir selbst nach mehrfachen Versuchen einfach auf keinen grünen Zweig kamen.

Nachdem solche Fälle mehrfach zu beobachten waren, wollte ich der Sache näher auf den Grund gehen. Art und Schwere der Arbeit konnte ich als Ursache ausschließen. Ebenso die generellen Arbeitsbedingungen, das Betriebsklima und die Bezahlung. Ich hatte mir damals viel Zeit genommen, um von jedem einzelnen in Erfahrung zu bringen, wo denn genau das Problem liegt. Letzten Endes gestanden mir nicht wenige, dass die anfängliche Motivation echt war (ich hatte keinen Grund, das anzuzweifeln), ebenso der Wille, etwas zu leisten (auch hier keine Zweifel). Aber sie waren nach all den Jahren des "Nichtstuns" einfach nicht mehr in der Lage, über längere Zeit in einem strukturierten Umfeld einem definierten Tagesablauf nachzugehen. Die Psyche gab das einfach nicht mehr her.

Die Leute haben sich bei mir regelrecht entschuldigt, es war ihnen anzusehen, wie peinlich ihnen selbst dieses Versagen war. Geholfen hat das aber alles nichts. Auf die Frage, ob sie diese Schwierigkeiten auf absehbare Zeit in den Griff bekämen, sagten mir viele, dass sie starke Zweifel daran hätten. Nun kann man sich solche Leute als Arbeitgeber auch nicht ewig leisten... Letzten Endes sind wir nahezu vollständig davon abgekommen, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen, die uns vom Amt übermittelt wurden oder die sich freiwillig bei uns beworben hatten. Das ist für beide Seiten nicht schön! Aber was will man machen?

Insofern fände ich es nicht verkehrt, wenn man Langzeitarbeitslose bzw. solche, die auf dem Weg dahin sind, regelmäßig fordern würde, damit sie sich ihre Arbeitsfähigkeit erhalten können. Das hat rein gar nichts mit Ausnutzen oder Gängelung zu tun. Letzten Endes profitieren die Betroffenen davon hauptsächlich selbst. Gibt es im Forum vielleicht jemanden, der einen psychologischen Hintergrund zu dem beschriebenen Phänomen liefern kann? Woher kommt das und wie kann man dem vorbeugen (außer durch "Zwangsarbeit")?

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