Michel Foucault darf nie fehlen, wenn man wieder einmal einen Verharmlosungsversuch unternimmt. Dessen durchaus fragwürdige, weil tendenziell das Kind mit dem Bad ausleerende Einlassungen zur westlichen Geschichte medizinisch begründeter repressiver Massnahmen sind allerdings kaum mit der heutigen Situation vergleichbar. Das wird schon nur durch die Tatsache erwiesen, dass die Spannbreite der Reaktionen auf die Seuche nicht mit dem Grad des politischen Autoritarismus zu parallelisieren ist, ganz offensichtlich andere Aspekte dominieren.
Eine Gleichsetzung der alljährlich auftretenden, für einige wenige Wochen grassierenden Grippe mit der Omikron-Mutante von C-19 ist offensichtlich unsinnig. Omikron tritt zu jeder Jahreszeit auf. In Europa ist es Winter, aber die Omikroninfektionen nehmen auch z. B. in Südamerika, wo es Hochsommer ist, dramatisch zu. Der Infektiositätspegel ist ausserordentlich hoch, wohl kaum noch zu toppen. Dies führt zu einem extrem schnellen Anstieg der Infiziertenzahlen. Zwar kann mittlerweile als gesichert gelten, dass die Anzahl schwerer bis sehr schwerer Verläufe deutlich niedriger ist, ein beträchtlicher Teil dieses Unterschieds verdankt sich allerdings der durch Impfung induzierten Teilimmunität. Nach neusten Zahlen schützt eine Dreifachimpfung zu ca. 90 Prozent gegen einen schweren Verlauf, eine zweifache zu ca. 50 Prozent. Und der nicht dadurch erklärbare Unterschied wird von der quantitativen Steigerung mehr als wettgemacht. Es handelt sich um ein mit dem aus dem Ökobereich bekannten Rebound-Effekt vergleichbaren Vorgang.
In den usa ist die C-19-Spitalpopulation schon wieder fast so hoch wie bei der Delta-Welle und steigt weiter. Auch die Anzahl der Todesopfer ist hoch und steigt tendenziell weiter. Die Zahl der Kleinkinder bis fünf Jahre, die bekanntlich noch nicht geimpft werden dürfen, die nach einer Infektion einen schweren Verlauf zeigen und hospitalisiert werden mussten, hat sich in den usa in absoluten Zahlen vervierfacht. Vermutlich einfach darum, weil die Zahl der Infektionen in dieser Alterskohorte noch mehr gestiegen ist.
Eine Infektion mit Omikron garantiert nicht, dass man danach verlässlich immun ist gegen weitere Mutanten, schon gar nicht längerfristig. Die extreme Reproduktion des Virus öffnet weiteren Mutationen Tür und Tor, macht sie wahrscheinlicher. Die Behauptung, diese würden nun sukzessive harmloser ist genau das, eine Behauptung. Möglich, aber alles andere als gesichert. Genauso gut möglich ist es, dass in wenigen Monaten die nächste Mutante anrollt, im schlimmsten Fall dazu in der Lage, den wie auch immer entstandenden Immunschutz teilweise zu umgehen und aggressiver als Omikron. Hoffentlich nicht, aber nachdem ich persönlich nun schon mehrmals zu optimistisch war, halte ich das nicht für ausgeschlossen.