https://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-177665%22]}
"In the light of the foregoing the Court concludes that in the determination of the criminal charges against the applicants the offence set out in Article 159.4 of the Criminal Code, in force at the time of their conviction, was extensively and unforeseeably construed to their detriment. It considers that such an interpretation could not be said to have constituted a development consistent with the essence of the offence."
"In Anbetracht dessen kommt das Gericht zu dem Schluss, dass bei der Festlegung der strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Beschwerdeführer der zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung geltende Straftatbestand des Artikels 159 Absatz 4 des Strafgesetzbuchs in extensiver und unvorhersehbarer Weise zu ihren Ungunsten ausgelegt wurde. Er ist der Auffassung, dass eine solche Auslegung nicht als eine dem Wesen des Straftatbestandes entsprechende Entwicklung angesehen werden kann."
Aus gutem Grund. Betrug setzt nämlich zwingend eine Schädigung des Betrogenen voraus, auch in Russland (der erlittene Vermögensschaden wird als Diebstahl definiert).
Der Vorwurf der russischen Gerichte lautete:
1) Die Brüder Nawalny haben die als Logistikdienstleister fungierende "Scheingesellschaft" GPA gegründet.
2) Diese GPA schloss mit der Firma Yves Rocher einen Vertrag ab. GPA, und nicht mehr die russische Post, würde die Lieferungen zwischen Jaroslawl und Moskau übernehmen, und das billiger und besser.
3) Die GPA trug die Päckchen aber nicht persönlich, sondern beschäftigte dafür ein Subunternehmen, das noch billiger, aber zur völligen Zufriedenheit des Auftragsgebers arbeitete. Der Vertrag hatte die in Russland völlig übliche Beschäftigung von Subunternehmen nicht ausgeschlossen.
4) Die Differenz zwischen dem, was die GPA von Yves Rocher kassierte und dem, was der Subunternehmer in Rechnung stellte, strich die GPA als Provision ein. Völlig normales Geschäftsgebaren.
5) Nach Beendigung des Vertrags erstattete nach Informationen der russischen Zeitung „Nowaja Gaseta“ Bruno Leproux, der Generaldirektor von Yves Rocher Wostok, Anzeige gegen Unbekannt. Nawalny vermutet, dass die französische Kosmetikfirma durch russische Behörden unter Druck gesetzt und gezwungen wurde, eine Anzeige zu erstatten. Allerdings ist es reichlich unwahrscheinlich, dass der Kosmetikfirma in viereinhalb Jahren nicht aufgefallen ist, dass die Preise von GPA überhöht gewesen sein sollen. Tatsächlich konnte die Verteidigung ein Dokument des Controllings von Yves Rocher vorlegen, das bestätigte, dass Oleg Nawalny seine Pflichten nicht nur zuverlässig erfüllte, sondern auch günstiger als der durchschnittliche Marktpreis gearbeitet hatte. Auch der Vorgesetzte Oleg Nawalnys bei der russischen Post (Oleg hatte Insiderinfos benutzt) bestätigte, es sei auch der Post kein Schaden entstanden (die Post war aber gar nicht als Geschädigter benannt worden).
Das russische Gericht wirft der GPA aber absurderweise vor, es habe Yves Rocher nicht über die günstigeren Preise des Subunternehmers informiert. Es sei ein "Vertrauensbruch" gewesen, da die GPA Yves Rocher nicht die billigeren Preise des Subunternehmers berechnet habe.
Eine solche Ansicht löst eigentlich im Geschäftsleben Heiterkeit aus. Die russischen Gerichte meinten es aber bitterernst. Der von GPA erzielte Gewinn sei also "Diebstahl" gewesen, und damit getätigte Ausgaben (z.B. Büromieten etc.) seien daher "Geldwäsche".
Zu Recht konnte der EGMR keine Straftat erkennen. Das Präsidium des Russischen Obersten Gerichts, das laut EGMR zu Unrecht eine Straftat erkannt hatte, wischte die Einwändes des EGMR vom Tisch. Ist doch Straftat, punktum.
Damit steht eigentlich fast jeder, der in Russland Geschäfte treibt, mit einem Bein im Gefängnis, da die Gerichte völlige legale Geschäftstätigkeit zum Betrug erklären können.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (03.02.2021 23:36).