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  • Wellcome Distrust

13 Beiträge seit 18.02.2022

Meinungsfreiheit im Kapitalismus beinhaltet nicht die Freiheit, einen...

...vorgeschriebenen Sprechakt nicht zu äußern. Und es wird nicht bei Sprechakten, also Lippenbekenntnissen, bleiben.

In Orwells Roman 1984 will der Folterknecht O'Brien den anfangs noch vollständigen Menschen Winston zu einem Neuen Menschen der "Neuen Normalität", zu einem vom System verwertbaren Menschen machen.

O'Brien hält vier Finger hoch und fragt Winston, wie viele Finger er sieht. Winston sagt "vier". Und wenn die Partei sagt, es sind fünf Finger? Winston bleibt bei "vier". Die Wahrheit bedeutet Winston noch etwas. Er ist noch ein vollständiger, natürlicher Mensch.

Es geht O'Brien nun nicht darum, dass Winston sagt, was die Partei, also O'Brien, hören will, nur um die Folter zu beenden. Es geht O'Brien nicht darum, Winston zum Lügen zu foltern. Soweit hatte er Winston schon ziemlich frühzeitig. Es geht O'Brien darum, dass Winston die fünf Finger wirklich glaubt.

"Sie halten die Realität für etwas Objektives, Äußeres, das seinen eigenen Bestand hat. […] Aber ich sage Ihnen, Winston, daß Realität nichts Äußeres ist. […] Die Realität läßt sich ausschließlich durch die Augen der Partei erkennen. […] Es erfordert einen Akt der Selbstvernichtung, eine Willensanstrengung." (S. 299f)

Noch hätte Gergiev möglicherweise mit einem Lippenbekenntnis gegen Putin weiterleben dürfen. Möglicherweise. Es ist aber abzusehen, dass in naher Zukunft auch Lippenbekenntnisse nicht mehr reichen werden. Man wird nach vollzogener Digitalisierung von allem nur noch weiterleben dürfen, wenn man die Realität der Partei wirklich glaubt, wenn man die Realität "ausschließlich durch die Augen der Partei" erkennt.

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