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  • janadann

710 Beiträge seit 02.01.2022

Re: Die Legende vom armen Musikus

Es ist rein arbeitsrechtlich sehr fragwürdig, einen Arbeitsvertrag aufgrund einer NICHT-Äußerung des Betreffenden zu kündigen ...
Ein Jurist erläutert das so:

Die Rausschmisse von Gergiev und Netrebko sind veritable Straftaten durch die Verantwortlichen der Bayer. Staatsoper und der Stadt München. Und zwar jeweils ‚versuchte Nötigungen’ nach §§ 240 I-III, 22ff StGB. Versuch deswegen, weil die beiden Tatopfer die von ihnen verlangten Erklärungen nicht abgegeben haben, also der von den Tätern angestrebte Nötigungserfolg nicht eingetreten ist. Es mag in beiden Arbeits- bzw. Auftrittsverträgen die Klausel enthalten sein, daß sie – was für Kulturschaffende in einem Vertragsverhältnis ohnehin selbstverständlich sein müßte – öffentlich politische Aussagen jeglicher Art zu ‚unterlassen’ haben. Wenn sie dagegen verstoßen, können sie zu Recht entlassen werden, weil sie ja indirekt ihren Arbeitgeber bzw Dienstherrn kompromittieren. Und hier soll plötzlich das Gegenteil gelten: Die Dienstherrn machen gegenüber ‚ihren’ Künstlern einen vertragsrechtlichen Anspruch geltend, daß diese öffentlich politische Äußerungen gegen ihren ‚eigenen Willen’ abzugeben hätten, völlig unabhängig vom Inhalt, und gleich, welche Überzeugung die Künstler persönlich haben.

Nachzulesen bei Klonovsky ...

Nun wurde aber die Strafvorschrift zum Schutz der freien Willensbildung geschaffen, sie gehört zum Kapitel ‚Straftaten gegen die persönliche Freiheit’. Nun gilt es als ‚verwerflich’ im Sinne der Strafvorschrift, die Kündigung eines Arbeits- oder ähnlichen Vertragsverhältnissen anzudrohen, um um die Betroffenen zur öffentlichen Abgabe politischer Äußerungen, noch dazu nach den Vorgaben des Täters, zu zwingen. Übrigens: Selbst wenn eine derartige Klausel in den Verträgen von Netrebko und Gergiev enthalten wäre, wäre sie offensichtlich unwirksam, und zwar wegen – raten Sie mal – klaren ‚Verstoßes gegen die Menschenwürde’. Insoweit entfaltet das Grundgesetz seine Drittwirkung.
Nun soll keiner erzählen, daß der Herr Oberbürgermeister der Landeshauptstadt und der Herr Opernintendant das nicht wußten (oder wissen konnten: Dieter Reiter kommt aus der öffentlichen Verwaltung und Rechtspflege, und der Intendant hat Rechtsberater). Für beide wird es jetzt eng: Erstens haben sie vor aller Augen ein Strafdelikt begangen, gegen sie muß die Staatsanwaltschaft München I von Amts wegen ermitteln; und zweitens erfüllt ihr Vorgehen die Voraussetzungen eines ‚besonders schweren Falles’ nach § 240 Abs. III Nr. 3 StGB, weil sie ihre ‚Befugnisse oder ihre Stellungen als Amtsträger’ mißbrauchten. Wenn es so läuft wie sonst bei harmlosen Beleidigungen von Politikern in Berlin oder Hamburg, steht morgen früh die Kripo in den Amtsräumen und durchsucht alles und nimmt alle Kommunikationsmittel mit.
Was mich gar nicht wundert ist, daß die Medien diesen Skandal gar nicht als das, was er ist – nämlich politisch motivierte Kriminalität ‚von oben’ —, erkennen wollen. Dies zeigt, wie tief die Pervertierung des Rechtsbewußteins in unsere Gesellschaft eingesickert ist. Und wie weit das Klima der Einschüchterung schon reicht.”

Ich kann mich übrigens noch gut daran erinnern, dass damals in der DDR von
den "Kulturschaffenden" (was für ein blöder Begriff) ebenfalls
immer wieder ein politisches Bekenntnis gefordert wurde. Damals
halt das Bekenntnis "zum Arbeiter- und Bauern-Staat" ...
Isses schon wieder so weit?
Die irre Idee, dass sich ein Künstler öffentlich FÜR oder GEGEN irgend etwas zu positionieren hätte, und dass er von Politikern dazu gezwungen werden darf, ist unvereinbar mit der Meinungsfreiheit in einer Demokratie.

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