Aus russischer Sicht war die Gelegenheit günstig. Die USA innerlich zerstritten, die EU sowieso, Merkel in Rente und die Ukraine reif wie eine Frucht zur Eroberung. Ein bisschen Druck mit Erdgas hier, ein bisschen poltern gegen die NATO da - vielleicht geht ja noch mehr als nur die Eroberung der Ukraine. Und Machopunkte für die Wieder"wahl" gibt es sowieso.
Und wo stehen wir nun? Seit Wochen ist Russland bereit zum völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine. Wobei das "völkerrechtswidrig" in Russland eh keinen stört. Aber losgegangen ist es bisher nicht. Stattdessen steht Putin einer unerwartet geschlossenen Front der Nato und Europäer gegenüber. Und die USA haben "ihre" rote Linie genau so gezogen, dass sie nichts verlieren, aber eine Menge gewinnen können. Putin hingegen kann nur noch verlieren:
1) Er zieh mit Schimpf und Schande ab und konnte all seinen Drohungen und Forderungen nichts folgen lassen. Innen- und Machtpolitisch ein Desaster, aber immerhin bleibt Russland wirtschaftlich der Ruin erspart und die Europäer könnten sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder entzweien lassen.
2) Russland erobert nur die Ostukraine. Militärisch gesehen die sicherste Option. Verluste sein kaum nennenswert zu erwarten, die Gebiete werden de facto eh schon durch russische Truppen kontrolliert. Eigentlich würde es reichen, endlich wieder die Hoheitszeichen aufzukleben. Wirtschaftlich wird dies aber sehr schwierig für Russland werden, siehe unten. Zumindest könnte sich Putin als Held der geretteten (eingemeindeten) Russen feiern lassen und hätte einen weiteren Teil der "Kornkammer Europas" erobert.
3) Russland erobert die gesamt Ukraine. Militärisch nicht viel schwieriger, wenn auch etwas verlustreicher als 2), aber mit dem Unterschied, dass die Ukraine zu halten extrem teuer sein wird. Ein nennenswertes Kontingent russischer Soldaten wird das Land, dass den Besatzer noch aus alten Zeiten kennt und hasst, dauerhaft sichern müssen. Die wirtschaftlichen Folgen wären aber verheerend.
Nun zu den wirtschaftlichen Folgen: Russland rühmt sich stets, inszwischen unabhängig vom Westen zu sein. Das ist mitnichten so, wenn man betrachtet, dass über 40% der russischen Staatseinnahmen aus dem Geschäft mit Rohstoffen kommen. Und zwar zumeist mit dem Westen. Die Devisenresevern dürften ca. 6 Monate reichen ... aber dann? Bereits die milden Sanktionen vor 8 Jahren haben Russland wirtschaftlich soweit zurückgeworfen, dass man z.B. die Massenproduktion der SU-57 aufgeben musste und auch die SU-35 nicht wie geplant an Ägypten und Algerien liefern kann. Wegen fehlender Teile, wohlgemerkt.
Nun stellen wir uns mal vor, ungleich schärfere Sanktionen treten in Kraft und gleichzeitig rüsten eine geeinte NATO und EU auf und erfüllen endlich ihre 2% Ziele - wie es die USA seit langem fordern. In so einer Situation kann Russland kein Rüstungswettrennen gewinnen, und zudem dürften Finnland, Schweden und andere keine Sekunde mehr zögern, der NATO doch noch beizutreten.
Im Ergebnis hätte Putin Russland wirtschaftlich ruiniert, die NATO geeint und gestärkt und mehr NATO-Streitkräfte an der Grenze als je zuvor.
Ob das Putin aufhält, weiß am Ende keiner. Die innenpolitische Schmach, jetzt klein Beizugeben, ist nicht zu unterschätzen. Aber wie wir sehen, hat Russland kaum etwas zu gewinnen und eine Menge zu verlieren. Die USA wiederum, denen die Ukraine völlig egal ist, erhalten im - aus ihrerer Sicht - worst case den Status quo. In den anderen Szenarien gewinnen sie erheblich an Einfluss in der Region.
Ja, das ist Putin, blind vor Grossmannssucht, in eine Falle getappt.