Rudi Netzsch leistet einen ganz wesentlichen Beitrag, der über seine eigne zentrale Schlussfolgerung -
die Personen erscheinen daher formal und rechtlich gleich, und diese Gleichstellung ist es, was im Bewusstsein der in diesen Verhältnissen befangenen Menschen den Schein erweckt, als wäre der gesellschaftliche Zusammenhang nichts weiter als ein Zusammenleben vieler Einzelner; seit den Anfängen des Kapitalismus, also seit der Zeit der Aufklärung bis heute hat diese Betrachtungsweise die Festigkeit eines allgegenwärtigen Vorurteils.
- hinausgeht. (Wer würde hier nicht an Thatchers Diktum, es gebe nichts derartiges wie eine Gesellschaft denken?) Das folgende Zitat nähert sich dem Kern:
Damit ist die Unmöglichkeit, auf jeweils bestimmte Gegebenheiten bezogene Gesetze aus den allgemeinen Bestimmungen der Vernunft, also aus der Logik, abzuleiten, nicht aufgehoben. Marx' Kritik an Hegels Rechtsphilosophie zeigt die Fehler auf, mit denen Hegel dieses der Sache nach unmögliche Vorhaben dennoch auszuführen meinte.
Die Marx'sche Kritik trifft indirekt natürlich erst recht Kant, der, wie Netzsch belegt, in geradezu unverschämter Weise sich der Aufgabe entledigt, seine Behauptung, die Vernunft sei ein fester Boden für moralische Urteile, zu belegen, indem er keck behauptet schon ein Zehnjähriger - er dachte wohl ausschliesslich an Knaben - sei fähig die 'notwendigen Schlüsse' zu ziehen.
Nicht dass der Aufklärung das Problem verborgen geblieben wäre. In ihrer schwaren Variante, namentlich bei de Sade spricht sie drastisch aus, wie trügerisch dieser angeblich feste Boden ist.
Kritik an den Verhältnissen betrifft nach Hegel nur deren unvollkommene Ausprägung, nicht die in ihnen enthalte Idee.
Hier nun wird Netzsch fast explizit. All den Überlegungen liegen 'Ideen' zugrunde. Oder moderner ausgedrückt Begriffe. Begriffe, denen in platonischer Tradition ontische Ursprünglichkeit, Dignität zuerkannt wird. Sie sind das eigentlich Existierende. Eigentum z. B. existiert gewissermassen avant les faits. Aus dieser Sicht erscheint eine Gesellschaft, in der es kein Eigentum im bürgerlichen Sinn gibt, als defiziente, primitive. Eigentum ist gewissermassen vor jeder Gesellschaft. Dasselbe gilt für 'die Vernunft', 'die Logik' usw.
Es ist nun keine Neuigkeit, dass es sich bei Kant und Hegel - und auf eine vertrackte, genealogische Weise auch bei Marx - um eminente Vertreter des Idealismus handelt, in diesen Fällen seiner deutschen Spielart. Aber davon ist in den letzten Jahrzehnten kaum noch die Rede, der Idealismus hat erneut die Alleinherrschaft übernommen, so dass er gleichsam unsichtbar wird. Er ist wie die Luft, die wir atmen.
Und er ist ein fataler Irrweg, die Voraussetzung für eine Weltwahrnehmung, die die materielle Welt nicht ernst nimmt, für das immer schon sekundäre und deshalb bedenkenlos traktierbare hält. Was dabei herausschaut ist heute sowohl ökonomisch als auch ökologisch deutlich. Menetekel künden es, aber der überzeugte Idealist erkennt ihre Bedeutung nicht.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (20.11.2021 17:38).