Das Sein bestimmt das Bewußtsein ist ein marxistischer Grundgedanke. Nun scheint es so, dass das plurale Sein vielen Linken nicht passt. Da werden Debatten aus den 80ern geführt, die sich an der Grundthese abarbeiteten, dass die soziale Bewegungen einander widersprechen würden. Also dass z.B. ein antirassistischer, queerer, feministischer oder radikalökologischer Kampf den kapitalismuskritischen Kampf verdrängen würde.
In diesem Sinne spricht Wagenknecht von einer Spaltung der Linken aufgrund identitätspolitischer Orientierung. Ich halte das für spalterischen Unsinn. Denn die Anliegen von sozialen Bewegungen, seien es PoC, Frauen, Queere, Behinderte, Radikalökologen und Weitere widersprechen überhaupt nicht linker Politik. Im Gegenteil wird emanzipatorischer Kampf seit dem Bestehen der Arbeiter:innenbewegung als das verstanden, was als links bezeichnet wird. Gender Pay Gap, Diskriminierung von transsexuellen Menschen am Arbeitsplatz, Arbeitskämpfe, um Betriebsräte einzusetzen - nur um mal ein paar Beispiele zu nennen - das alles widerspricht sich nicht, es ergänzt sich.
Ich sehe das Dilemma der Linken darin, dass die Identität von sozial Benachteiligten wie z.B. Niedriglöhnern in den letzten Jahrzehnten schwächer geworden ist. Das ist aber nicht die Schuld der sozialen Bewegungen, die sich über Identitäten begreifen. Nicht diese haben die Identität von Lohnabhängigen verdrängt. Da sollte eine tiefere Analyse stattfinden, um diesen Prozess umzudrehen. Deshalb würde ein Zurückdrängen von Identitäten nicht zur Stärkung anderer Identitäten führen. Im Gegenteil denke ich, dass die Schwächung emanzipatorischer Bewegungen zu einer Schwächung von Emanzipation allgemein führen. Die Analyse von Wagenknecht und Anderen ist deshalb grundlegend falsch, spaltet und schwächt die Linke.
Nötig wäre es, die Identität von ökonomisch Benachteiligten zu stärken und die Pluralität von emanzipatorischen Bewegungen im kapitalismuskritischen Sinne zusammenzuführen. Es ist Unsinn, Pluralität von Sein zu bekämpfen, um dadurch sich auf eine Seinsidentität zu fokussieren. Der Kampf, Identitätspluralismus in einer großen, übergeordneten Identität aufzulösen, ist völlig daneben. Das Konzept, eine Art sozialistische Einheitsidentität zu beschwören, geht völlig an der bestehenden Seinsrealität vorbei. So wird die Partei Die Linke sich marginalisieren und scheitern.
Im Grunde zeigt sich an den Positionen von Wagenknecht, dass die Utopie eines Erfolges kapitalismuskritischer Politik nich ein Gesamterfolg von emanzipatorischer Anliegen verschiedener sozialen Bewegungen sein wird, maximal ein Teilerfolg, denn es werden historisch gewachsene Strukturen des Kapitalismus negiert. Insofern betreibt Wagenknecht eine Spaltung der Linken.