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  • Kohlrübe

2 Beiträge seit 14.12.2024

Don't judge a book by it's cover

Es ist schon erstaunlich, wie schnell und sicher in der deutschen Medienlandschaft außenpolitische Analysen getroffen werden.
Wenn man den Aussagen darüber folgt, so ist der Iran (wie anscheinend auch Russland) von der Türkei völlig überrascht und überrumpelt worden.
Ist das wirklich vorstellbar? Die Türkei stellt sich offen und ohne jede Absprache gegen die Interessen dieser Länder?
Nun, es reicht ein Blick in die deutschsprachige Medienlandschaft außerhalb der Landesgrenzen, um zu erfahren, dass es ganz so dann wohl nicht gewesen ist:
https://www.krone.at/3625302
Wie dort berichtet wird, hat Erdogan mit Russland und Iran Vereinbarungen getroffen, dass diese nicht eingreifen. Von daher waren beide Länder mit Sicherheit vorab informiert. Welche Abmachungen und Zugeständnisse im Gegenzug gemacht wurden, davon wissen wir im Westen anscheinend nichts.

Aber wer ein klein wenig das geopolitische Schachspiel versucht zu verstehen und dabei über den Anschein der Oberfläche hinaus sich erlaubt in abstrakten Zügen zu denken, für den ergibt sich unter Umständen daraus ein Bild, in dem Russland und der Iran strategisch kein Nachteil ergeben muss.

Die Türkei steht Israel spätestens seit dem Gazakrieg alles andere als wohlwollend gegenüber und hat nun ihren Einfluss bis an Israels Grenze ausgedehnt. Russlands Geheimdienst war es, der Erdogan 2016 vor dem Putsch gewarnt hatte, so dass der sich in Sicherheit bringen konnte, bis die Lage im Griff war. Warum sollte er Interesse haben, einen ansonstenzuverlässigen Partner aus seinen Basen in Tartus und Hmeinim drängen zu lassen?

Und der Iran? Es mag sein, dass der sunnitische Osmane und die schiitischen Ayatollahs ihre Differenzen haben, in einem jedoch sind sie sich einig, der Krieg Israels gegen die Palästinenser in Gaza ist ein Verbrechen an muslimischen Brüdern. Welche Rolle der Iran zukünftig in einem souveränen Syrien spielen wird, das zunächst mal, wie von der Türkei schon gefordert, auf seiner vollen territorialen Integrität besteht, wird sich zeigen. Aber auch der Golan gehört zum syrischen Staatsgebiet und in einem souveränen Syrien wird auch die illegale Ausbeutung der Erdölvorkommen im Nordosten Syriens durch die USA und deren Verbündete beendet werden. Man wird sehen, welche Kräfte sich nun formieren.
Nur sollte man bei Analysen im Westen sich der Komplexität und weiteren Zusammenhänge immer bewusst sein, anstatt oberflächliche Betrachtung mit Wunschdenken zu kombinieren und daraus dann abzuleiten, dass die „bösen Mächte“ jetzt eine schwere Niederlage erlitten hätten. Das ist noch lange nicht raus!

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