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  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

"Machtzirkeln"

Das dümmste was man in historischer wie politischer Analyse tun kann ist die treibenden Kräfte nicht zu benennen sondern schwammig von "Machtzirkeln" zu schwafeln, die Russland angeblich "komplett übernommen" hätten. Das ist eine nicht falsifizierbare, unwissenschaftliche Aussage, weil selbstverständlich unterstellt wird, dass das Wirken dieser "Zirkel" im Verborgenen passiert und nicht beobachtbar ist.

Es gibt keinen Hinweis (von Beweis wollen wir mal gar nicht reden), dass Putin eine Marionette solch ominöser "Zirkel" ist, aber ziemlich viele (z.B. Chodorkowski, Prigoschin, Nawalny...), dass es sich um einen stramm von oben nach unten organisierten Machtapparat handelt, dessen wichtigste Funktion es ist, Putins Position abzusichern und alles und jeden auszuschalten, der ihm gefährlich werden könnte. Die von Ihnen unterstellte Zufriedenheit des Volkes wäre da nur ein Faktor unter vielen, der diesem Ziel dient, keineswegs aber der wichtigste Zweck seiner Politik. Putin hat den Zusammenbruch der "DDR" hautnah miterlebt und weiß, wie gefährlich unzufriedene Bürger für die Herrschenden werden können.

Das paranoide Misstrauen gegenüber dem eigenen Volk ist ein gemeinsames Merkmal von (post)-kommunistischen Systemen. Die Gestapo hatte für das riesige Deutsche Reich 31.000 Beschäftigte, die vergleichsweise winzige DDR aber 100.000 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter.

Geschichte wird von Menschen gemacht und Menschen werden von Gefühlen, Erfahrungen und Intuitionen angetrieben und nur zum kleinen Teil von Argumenten. Insofern sind die Persönlichkeiten und Erfahrungen der handelnden Figuren schon ein wichtiger Faktor. Putin ist persönlich geprägt vom sowjetischen Macht- und Geheimdienstapparat und genau das spiegelt das heutige russische System wieder. Putin ist die Macht nicht in einem revolutionären Akt zugefallen, sondern er hat sie Zug um Zug über viele Jahre planvoll und beharrlich ausgebaut.

Der Putinismus hat viele Züge des Faschismus, so den starken Fokus auf vergangene (und wiederzuerlangende) Größe und das damit verbundene Gefühl der Demütigung. Auch der Frieden mit etablierten Eliten (und nicht deren revolutionäre Zerschlagung), die Überhöhung von Staat, Ethnie, Nation und Militär (und die Missachtung individueller Rechte und Freiheiten) sind gemeinsame Merkmale. Unterschied ist z.B. die geringe Rolle von Massenorganisationen. Es ist, wie der Stalinismus, speziell auf eine Persönlichkeit an der Spitze zugeschnittene Herrschaftsform - und trotzdem eine Blaupause für die vorherrschende Regierungsform im ehemaligen sowjetischen Herrschaftsbereich. Der ist geprägt von ähnlich gestrickten Pseudodemokratien mit oft jahrzehntelang autokratisch regierenden "starken Männern".

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