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  • the observer

mehr als 1000 Beiträge seit 18.07.2001

Früher war früher

TecDoc schrieb am 14. Februar 2010 23:53

> > > > Hartz IV ist zu niedrig und die Löhne sind VIEL
> > > > zu niedrig.

> > > Das trifft nicht zu. Die Problemstellung ist doch, daß es Arbeiten
> > > gibt, deren Wertschöpfung so niedrig ist, daß sie für den
> > > Lebensunterhalt in unserem Land nicht mehr ausreichen.

> > Welche Arbeiten sind es denn? Mir fallen keine Tätigkeiten ein, die
> > es nicht schon früher gab;

> Früher war früher. 

Das ist doch hoffentlich nur eine Floskel und kein Argument...

> Nur: Seitdem sind *alle* Tätigkeiten => Löhne
> teurer geworden. Bei manchen Jobs stieg dabei auch die Wertschöpfung,
> bei anderen nicht.
> Industrie-Facharbeiter stehen heute an Automaten und Robotern, die
> ihre Produktivität sehr erhöhten. Da sind höhere Löhne keine Problem.
> Beim Putzen oder der Müllabfuhr hat sich da jedoch nicht wirlich
> etwas geändert.
> Aber die Löhne sind trotzdem gestiegen. Und das geht nicht gut.

Dieses System kann auf die Dauer ohnehin nicht gut gehen. Doch das
ist ein anderes Thema.

> > Latrinen mußten schon früher gereinigt
> > werden, und auch die Müllabfuhr ist keine Erfindung dieser Tage.
> > Seltsam nur, daß diese Tätigkeiten früher offenbar denjenigen
> > ernähren konnten, der sie ausführte. Weshalb ist das heute nicht mehr
> > so? 

> Deshalb: Weil die Ansprüche an das "ernähren können" in den letzten
> 30, 40 Jahren gewaltig gestiegen sind.
> Niemand würde sich heute mehr mit einer Wohnung, einer Heizung, einem
> Auto, egal welchen Produkten, begnügen, die dem Standard vo 40 Jahren
> entsprachen.
> Er könnte es auch gar nicht, weil es solche "alten" Produkte gar
> nicht mehr gibt.
> Und Dinge wie Computer, Flachbild-Fernseher, Handys, Playstations,
> etc. gab es damals noch überhaupt nicht, gehören heute aber zum
> Lebensstandard.
> Das ist so lange kein Problem, wie bei der eigenen Arbeit die
> Produktivität und damit die Löhne genau so (oder mehr) gestiegen
> sind, wie der allgmeine Lebensstandard.

Nein; das Problem ist nicht die Produktivität. Der Staat tritt noch
immer mit dem Anspruch auf, ein Sozialstaat sein zu wollen. Nur
klaffen Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinander, weil der
Staat immer weniger die Bedürfnisse der meisten seiner Bürger
zugunsten seiner Oberschicht vernachlässigt. Von der Mehrheit
gewählt, die Minderheit bedient - das ist die Situation.

> Doch dort, wo das nicht der Fall ist, wo Arbeit und Produktivität
> sich kaum geändert haben, dort passt es dann nicht mehr.
> Kann so ein Job dann noch leicht "ersetzt" werden (durch Automation,
> Ausländer oder Schwarzarbeit), dann werden solche Arbeiten zu
> Niedriglohn-Jobs oder verschwinden ganz.

> > Was sagt uns das über den Zustand unserer Gesellschaft aus? 

> Das es bedenkenswert viele Mitglieder unsere Gesellschaft gibt, die
> (nicht nur in der Arbeitswelt) nicht mehr mitkommen, mithalten
> können.

Ich hatte eigentlich eine Antwort über den Zustand unserer
Gesellschaft erwartet und nicht eine, die nur wiederholt, was schon
festgestellt wurde, und die nicht auf die Ursachen, sondern lediglich
auf die Auswirkungen eingeht.

> Hier nähern wir uns m.E. den wirkliche Problemen - dies sind die
> wichtigen Fragen, nicht die nach ein paar Euro mehr für
> Hartz4-Empfänger ... .

Auch wenn Du sie nicht aussprichst... Die Probleme beginnen dort, wo
eine immer größere Umverteilung der Gelder von unten nach oben, von
öffentlich nach privat, stattfindet. Dort, wo Kommunen pleite sind
und Allgemeingut an Privat verhökern müssen. Und sie setzen sich dort
fort, wo unsere Regierungen das alles nicht nur unterbinden, sondern
fördern, und dann mit einer gehörigen Portion Zynismus die
öffentliche Debatte darüber bewußt in die falsche Richtung lenken.

> > Was hat das Leistungsprinzip derart ausgehebelt?

> Das Leitungsprinzip gilt nach wie vor; nur die Definition, das
> Verständnis, was "Leistung" ist, hat sich durch die gesellschaftliche
> und technische Entwicklung geändert.

Meine Beobachtungen sehen anders aus. Nicht- Leistung, sprich
Versagen, wird immer häufiger honoriert (oder sagen wir treffender:
honoriert sich immer häufiger). Die Denk- und Verhaltensweisen derer,
die das betrifft, kann man nur noch als sittenwidrig bezeichnen. Um
noch mal auf "früher war früher" zurückzukommen: In der
Weltwirschaftskrise Anfang des vergangenen Jahrhunderts sprangen die
Banker aus dem Fenster, heute zahlen sie sich Boni aus.
Was noch schlimmer ist: Der sittliche Verfall dieser Personen, die
sich selbst seit Jahren schamlos selbst bedienen (und die ihrer
Position entsprechend ohnehin im Fokus der Öffentlichkeit stehen),
wird nach unten hin durchgereicht, gilt immer häufiger als
gesellschaftsfähig und gipfelt darin, daß Sozialbetrug und
Schwarzarbeit mittlerweile als legitime Form der persönlichen
Bereicherung aufgefaßt werden.

Es wäre an der Zeit, den Maßstab, nach dem sich Wertschöpfung und
Leistung bemessen, neu zu definieren und zu korrigieren. Die
Gesellschaft kann es sich auf Dauer nicht leisten, noch viel weiter
auseinanderzudriften, als das momentan der Fall ist. Allerdings sehe
ich persönlich das als Utopie an. Es wird nicht dazu kommen, und der
Staat wird fleißig an seinem weiteren Zerfall stricken. Er kann auch
gar nicht anders, denn er hat keinen Ausweg.

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