Ansicht umschalten
Avatar von
  • unbekannter Benutzer

mehr als 1000 Beiträge seit 26.09.2005

Re: Das Problem ist nicht zuwenig Lohn, sondern zu hohe Preise

Karsten W. schrieb am 14. Februar 2010 15:36

> Und warum sind die Preise so hoch? Zum Teil einfach deshalb, weil ein
> Arbeitnehmer heute für eine Firma heute das 1.5- bis 2-fache
> erwirtschaften muß, was er letztlich ausbezahlt bekommt. Und das
> liegt eben nicht daran, das die Firma das ganze Geld in die eigene
> Tasche steckt, sondern das es vom Staat als Steuern einkassiert wird
> und als Zwangsgebühren für Sozialversicherungen ausgegegben werden
> muß.

Ach, angesichts der irren Produktivität in der Industrie ist das
Erwirtschaften des 1.5- bis 2-fachen doch wirklich kein Problem.
Notleidend sind ja auch nie die Industriebetriebe mit Aufträgen,
sondern Dienstleister und Industriebetriebe ohne Aufträge.

> Was wäre, wenn man nun einen "substantiellen" Mindestlohn (z.B. von
> 10EUR, wie das viele fordern) einführt? Resultat: Das Preisniveau
> steigt in den Branchen, in denen bisher weniger als der Mindestlohn
> gezahlt wird entsprechend (und darauf kommt auch noch der
> Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungen). Die höheren Preise
> müssen natürlich alle zahlen, am meisten trifft es aber die, die eh
> wenig verdienen (also die Bezieher der Mindestlöhne und Arbeitslose).
> Und da die oft genannte "2 Erwachsene, 2 Kinder" bei einem Verdiener
> trotz Mindestlohn immer noch aufstocken muß, haben die effektiv
> keinen cent mehr als vorher - zahlen dafür aber die höheren Preise,
> die die Mindestlöhne verursacht haben. Na toll.

Für Industrieprodukte ist die Rechnung anders: bei einer angenommenen
Wertschöpfungsquote von gerade mal 2 (in Wirklichkeit viel höher,
einfach den Lohnkostenanteil abziehen) wirkt sich eine Erhöhung der
Löhne um 10% gerade mal in einer Preiserhöhung von knapp 5% aus.

Aber alle diese Rechnungen bringen ohnehin nichts. Je gründlicher man
rechnet, desto näher kommt man an eine Relation von 1:1 heran - in
einer Volkswirtschaft ist jede Einnahme gleichzeitig eine Ausgabe.

So gesehen ist für ein beliebiges Lohnniveau "genug Geld da", egal,
ob es hoch oder niedrig liegt.
(Genausowenig ist die Staatsquote für die Wirtschaft entscheidend -
eine hohe Staatsquote bedeutet nur, dass der Staat in mehr Bereichen
entscheidet, wie das Geld ausgegeben wird, aber das heißt nicht
unbedingt, dass diese Entscheidungen besser oder schlechter als die
der Einzelnen oder die der Firmen sind.)

> Nun gibt es natürlich gern den Ruf "nimmt es den Reichen weg". Das
> Problem, ist schlicht und einfach, das es dafür nicht genug Reiche
> gibt. Rechnet man das Gesamtvolkseinkommen von ca. 1800 Mrd EUR auf
> ca. 66 Mio Erwachsene um, landet man bei ca. 2270 EUR/Monat. Nach
> Steuern bleiben davon 1850 EUR/Monat. Also nicht wirklich die große
> Summe, die manche sich wohl vorstellen.

Das wäre für einen Hartz-IV-Empfänger der Himmel pur.

Es gibt einige Ausgaben, an denen man schlecht unter ein gewisses
Niveau druntersparen kann. Dazu gehören Kleidung, Miete, Heizung,
Essen, Mobilität: die lassen sich alle auf ein Mindestmaß
zusammenstreichen, aber drunter geht es schlicht nicht mehr.
Es gibt dieses Mindestniveau für jeden, es liegt je nach den
persönlichen Umständen (Mietniveau, Heizkosten, chronische
irreduzible Ausgaben etc.) meist irgendwo zwischen 700 und 1000 Euro
pro Monat.
Bei 2270 EUR/Monat wären zwischen 1570 und 1270 EUR/Monat übrig!
Davon kann man ein Auto finanzieren und hat bei angenommenen
monatlichen Kosten von 500 EUR immer noch 770 bis 1070 EUR übrig.
Das ist *reichlich*.

> Und wenn man denkt, nun
> einfach die "Vermögen" angreifen zu können: Dann wäre der Staat
> sofort pleite, denn der Großteils des Volksvermögens steckt in
> Staatsanleihen und Immobilien.

Das ist einfach nur ein Spiel von rechte Tasche - linke Tasche.
Die Staatsschulden müsste man halt vom Volksvermögen abziehen.
Auf der Plusseite könnte man alle Steuern sofort um 25% reduzieren,
denn das ist ungefähr der Anteil, den der Schuldendienst im
Bundeshaushalt hat. Die Mehrwertsteuer würde dann von 19% auf 13%
sinken, damit würde auch der Wert jedes Euros, den man in der Tasche
hat, um 5% steigen. Die 2270 EUR/Monat bekämen alleein dadurch eine
Kaufkrauf von ca. 2390 EUR.
Zusätzlich könnten die Betriebe ihre Gewerbesteuern um 25% senken,
aufgrund der gesunkenen Einkommensteuer könnte man die Löhne auch
moderat senken, und und und. Die Preise würden also auch in Zahlen
ausgedrückt ein wenig sinken, was die Kaufkraft der Euros nochmal
steigert.

Das Problem ist nicht "kein Geld".
Das Problem ist, dass es nicht in die Taschen der Konsumenten fließt,
sondern in die Taschen der Kreditgeber. Deutschland hat das große
Problem, dass man im Inland nur wenig Ware absetzen kann, also werden
weniger Produzenten benötigt, die dann weniger Angestellte benötigen.
Am Ende gibt es einige Wenige, die von ihren Zinsen leben, eine
Gruppe von Leuten mit schlechtbezahlter Arbeit, die sich mühsam über
Wasser halten, und eine viel größere Gruppe von Leuten ohne Arbeit,
die sich irgendwie mit Hartz IV oder sonstigen Leistungen
durchschlagen müssen. (Durch die weiter fortschreitende
Rationalisierung sinkt der Bedarf an Arbeitskraft ja immer weiter,
selbst wenn das Lohnniveau niedrig ist.)

Die Löhne sinken ja auch nicht, weil sie im Vergleich zur
Produktivität zu hoch sind (sonst läge der Lohnanteil nicht schon
längst unterm europäischen Durchschnitt), sondern, weil die
Arbeitgeber damit drohen können, die Produktion in ein Ausland mit
billigeren Löhnen zu verlagern. (Die Arbeitgeber, das muss man der
Fairness halber dazusagen, haben auch die Geschichte der deutschen
Foto- und Uhrenindustrie im Nacken, die von Niedriglohn-Konkurrenz
vom Markt gefegt wurden.)
Das heißt dann, dass man nicht nur die Löhne in Deutschland anheben
müsste, sondern die in Osteuropa und China ebenfalls. Da wird's
natürlich schwierig.

Die Alternative wäre, den Grundbedarf aus dem Arbeitsmarkt
herauszunehmen. Arbeitnehmer sind ja auf ihre Arbeitsstelle
angewiesen und daher erpressbar; wenn das Lohnniveau mal unterhalb
der Mindestgrenze angekommen ist, brechen wirklich üble Zeiten an.
(Das gab's schon mal, das waren die Zeiten der
Frühindustrialisierung, mit Manchesterkapitalismus, Weberaufständen,
Maschinenstürmern usw.)
Also... Grundeinkommen. Irgendwas um 800 EUR. Dann arbeiten die Leute
auch für 5 EUR die Stunde, ohne sich vorm Abstieg ins Elend fürchten
zu müssen (und wenn das Grundeinkommen voraussetzungslos ist,
verschwenden sie auch nicht Zeit und Kraft damit, irgendwelche
Voraussetzungen gegenüber Behörden nachzuweisen - Streit mit Behörden
ist ja die massive Vernichtung von Produktivkraft).
So ein Grundeinkommen würde auch die Arbeitslosen- und
Rentenversicherung überflüssig machen, das Geld kann man prima für
die Finanzierung dieses Grundeinkommens heranziehen.
(Das einzige, was dagegen spricht, ist die Sorge, dass die Leute sich
dann massenweise auf die faule Haut legen. Nun ja, heute tun das
schon 20% zwangsweise, weil sie keine Arbeit finden... soll man doch
die Leute selbst entscheiden lassen, ob sie arbeiten wollen oder
nicht. Bestehende Experimente mit dem Grundeinkommen haben jedenfalls
gezeigt, dass die Menschen Sinnvolles tun *wollen*, auch wenn sie's
nicht müssten. Man schaue sich den Lebensstil der Superreichen an -
wirklich nur auf der faulen Haut liegt selbst von denen nur ein
kleiner Teil, die meisten suchen sich etwas Sinnvolles, was sie tun
können.)

Bewerten
- +
Ansicht umschalten