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Re: Das Problem ist nicht zuwenig Lohn, sondern zu hohe Preise

Karsten W. schrieb am 17. Februar 2010 18:24

> Joachim Durchholz schrieb am 17. Februar 2010 16:53

> > Ach, angesichts der irren Produktivität in der Industrie ist das
> > Erwirtschaften des 1.5- bis 2-fachen doch wirklich kein Problem.

> Ironisch gemeint?

OK, scheint tatsächlich nicht so hoch zu sein. Ich hab mal Schmitz
Cargobull aus Zeiten nachgerechnet, wo die Aufträge noch reinkamen.
Bei 8% Lohnkostenanteil erwirtschaftet ein Angestellter allerdings
das 12,5-fache an Einnahmen. Umsatzrendite ist irgendwo zwischen 5%
und 10%, d.h. der Arbeitnehmer erwirtschaftet immer noch irgendwas
zwischen dem 0,5-fachen bis 1,25-fachen seiner Lohnkosten - an
Gewinn, wohlgemerkt, d.h. selbst im ungünstigsten Fall kommt pro Nase
die Hälfte des Gehalts an Überschuss rein.

Das ist um Größenordnungen besser als das, was man im
Dienstleistungsbereich hinkriegt.
(Außer vielleicht bei Ingenieursleistungen. Aber das ist ja nur ein
kleiner Teil des Arbeitsmarkts.)

> > Notleidend sind ja auch nie die Industriebetriebe mit Aufträgen,
> > sondern Dienstleister und Industriebetriebe ohne Aufträge.

> Ach...

Nur zur Klarstellung der Berechnungsgrundlage.
Mir ging's ja um die grundsätzliche Leistungsfähigkeit der Industrie,
und die sieht man nur an den tatsächlich ausgelasteten
Industriebetrieben.

> "Nun haben wir *dazu* aber noch das Problem, das der Staat immer mehr
> den Bürgern in die Tasche greift und damit umverteilt. Das sind nicht
> nur Steuern, sondern z.B. auch KV, denn auch in der GKV da zahlen ja
> die "besser verdienenenden" für die weniger verdienenden mit.

Die besser Verdienenden seilen sich allerdings auf zweierlei Weise
aus der GKV ab:

1. Über die Beitragsbemessungsgrenze tragen sie zur GKV-Finanzierung
weniger bei, als ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
entspricht.
Das ist zumindest gegenüber denen, die gen- oder unfallbedingt eine
teure chronische Krankheit haben, ziemlich unfair - bei der
Finanzierung der Feuerwehr zahlen die besser Verdienenden ja auch
ihre Einkommensteuer.
Ist allerdings etwas, das man so oder so sehen kann. Die besser
Verdienenden apostrophieren sich ja gern als die Melkkühe der Nation,
was ein Körnchen Wahrheit und einen ziemlichen Brocken Lüge enthält -
oder umgekehrt, je nachdem, welche Perspektive man einnimmt.
Das ist grad nicht die Diskussion, die wir hier führen, deshalb
möchte ich es bei diesem Exkurs bewenden lassen.

2. Über die Flucht in die Privatkassen.
Da gibt's m.E. nix zu deuteln, die Beitragssummen für die
Privatkassen muss man mitrechnen bei der Belastung der Bevölkerung.

Und ich bin nicht sicher, ob die besser Verdienenden jetzt
tatsächlich für die schlechter Verdienenden mitbezahlen.

Die Schweizer haben z.B. eine Kopfpauschale, die jeder, aber auch
wirklich jeder bezahlen muss, egal ob selbständig, freiberuflich,
angestellt oder sonstwas. Die ist laut einem schon etwas älteren
Stern-Bericht erstaunlich niedrig.
Ah ja, siehe hier: http://www.ess-europe.de/europa/kvsys_schweiz.htm
Im Schnitt 250 Franken monatlich, also 170 Euro etwa.
Dazu kommen im Schnitt jährlich 1000$ an selbstbezahlten Leistungen,
das sind pro Monat nochmal ungefähr 60 Euro, insgesamt also 230 Euro.

Beim deutschen Beitragssatz von 15% müsste hier jemand unter 1500
Euro brutto verdienen, um weniger als das zu bezahlen.

> Diese
> Geld fehlt bei den "Reallöhnen" aber nun genauso! Und da es sich da
> um 1/2 bis 2/3 des Volkseinkommens handelt, schlägt das auch
> entsprechend massiv zu.

Also, die KV schlägt mit 15% zu, das ist weit von 1/2 bis 2/3 des
Volkseinkommens entfernt.

> Gerade diese Umverteilung ist nun das Problem: Da wird auf der einen
> Seite Arbeit teurer, damit steigen die Preise für den Kunden, der
> kann sich das zunehmend weniger leisten und als Resultat fallen
> Arbeitsplätze weg, weil es keine Kunden mehr gibt. Die nun
> Arbeitslosen bekommen nun H4 (oder werden bezuschußt) und benötigen
> damit Geld, was der Staat natürlich den noch Arbeitenden aus der
> Tasche ziehen muß. Damit haben die weniger Geld, können noch weniger
> kaufen und so setzt sich die Spirale fort.

Das ist in der Tat ein Problem.
Aber auch die Firmen greifen ihren Angestellten kräftig in die
Tasche. Da steigen Produktivität und Gewinne, gleichzeitig werden die
Lohnkosten kräftig gedrückt - immer wieder gern genommen:
Entlassungen und Wiedereinstellung über eine Leiharbeitsfirma.

> Tatsächlich ist es also die Umverteilung des Staates, die immer mehr
> Menschen in die Arbeitslosigkeit und damit Abhängigkeit von
> staatlichen Hilfen drängt.

Sowie die der Firmen.

> Das gahze geht ja bis zu einem gewissen
> Wert gut, aber ich denke, diesen Wert haben wir inzwischen
> überschritten und nun haben wir da eine positive Rückkopplung, die
> das System bald zerstören wird, wenn man die nicht irgendwie
> aufbricht."

Große Worte, gelassen ausgesprochen.
Macht sie nicht notwendigerweise wahr.

> > So gesehen ist für ein beliebiges Lohnniveau "genug Geld da", egal,
> > ob es hoch oder niedrig liegt.

> Das gilt in jedem geschlossenem System. Was allerdings nicht gilt
> ist, das man durch Lohnsteigerungen mehr Wohlstand bekommt - man
> bekommt dadruch nur höhere Preise.

Richtig.

> Lohnsteigerungen müssen immer an
> der Produktivitätsentwicklung orientiert sein. Und in unsere
> Dienstleistungsgesellschaft ist das halt mit der Produktivität nicht
> mehr so einfach wie in einer Industriegesellschaft.

Wenn in Deutschland der Lohnanteil am Volkseinkommen sinkt, steigt
die Produktivität eindeutig schneller als die Löhne.
Und genau dies geschieht seit ungefähr 10 Jahren.
Nachzulesen in den OECD-Berichten, die eigentlich unverdächtig sind,
ihre Zahlen in dieser Richtung zu manipulieren. (In denen steht auch,
dass sich sowohl Einkommen als auch Vermögen immer stärker spreizen.)

Ich zitiere das nur aus den Sekundärquellen, direktes Nachlesen wär
hilfreich - ich hab die Berichte und die relevanten Passagen
allerdings bisher nicht aufgetrieben.

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