SPIEGEL ONLINE - 02. Juni 2004, 15:36
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Bushs Tour de Sympathie
"Ich könnte es nicht ertragen, wenn mein Land besetzt wäre"
US-Präsident George W. Bush zeigt plötzlich Verständnis für
Kriegsgegner und Widerständler: Den französischen Präsidenten Chirac
lud er auf seine Farm nach Texas ein, den Irakern ließ er ausrichten,
er verstehe ihren Kampf gegen die Besatzung. In Rom mehren sich
derweil die Proteste gegen den bevorstehenden Bush-Besuch.
Es ist ein Satz, dem man vom mächtigsten Mann der Welt nicht erwartet
hätte: In einem Interview mit dem französischen Magazin "Paris
Match", sagte Bush: "Ich selbst könnte es nicht ertragen, wenn mein
Land besetzt wäre". Deshalb werde man den Irakern auch bald ihre
Souveränität zurückgeben. Schließlich seien nicht alle Kämpfer dort
Terroristen, einige ertrügen schlicht die Tatsache der Besatzung
nicht.
Diese erstaunlich verständnisvollen Aussagen sind Teil einer
Charme-Offensive, die der US-Präsident gestartet hat, um die
Spannungen des turbulenten letzten Jahres abzubauen. Die Kriegsgegner
von einst - ob im Irak oder in Europa - sollen mit der US-Politik
versöhnt werden. In den Vordergrund stellt Bush deshalb, dass die
Iraker bald möglichst wieder die Macht in ihrem eigenen Land
übernehmen sollen.
Zupass kommt Bush dabei, dass er am kommenden Sonntag an den
Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Landung der alliierten Truppen
in der Normandie teilnehmen wird. Bush zieht eine deutliche Parallele
zwischen dem Krieg der Alliierten gegen Hitler und dem US-geführten
Krieg gegen das Saddam-Regime. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten
viele Leute nicht daran geglaubt, dass Deutschland und Japan frei und
demokratisch werden könnten. Doch die Prinzipien und Wertesysteme,
die auf Anwendung von Gesetzen, Demokratie und Gerechtigkeit bauten,
hätten sich durchgesetzt. Deshalb gehörten beide Länder heute "zu
unseren besten Verbündeten (...)", sagte Bush gegenüber "Paris
Match". Es wird erwartet, dass Bush auch bei den Feierlichkeiten am
Sonntag eine Ansprache in diesem Sinne halten wird.
Anti-Bush-Proteste in Rom
Er sei deshalb auch niemals über Frankreich verärgert gewesen,
erklärt Bush in dem ausführlichen Interview weiter, schließlich seien
Meinungsverschiedenheiten unter Freunden ganz normal. "Jacque hat es
mir ganz deutlich gesagt. Er glaubte nicht, dass Gewalt notwendig
war. Wir haben das als Freunde diskutiert", erinnert sich Bush in dem
Interview an die Bedenken des französischen Staatspräsidenten Jacques
Chirac. Als Antwort auf die Frage, ob das bedeute, dass auch Chirac
bald die Ehre widerfahren werde, auf Bushs private Ranch in Texas
eingeladen zu werden, antwortete der US-Präsident: "Wenn er Kühe
sehen will, ist er willkommen".
Wenig beeindruckt von diesen Avancen Bushs zeigten sich derweil
Kriegsgegner in Rom. Zwei Tage vor Bushs Besuch in der römischen
Hauptstadt verhängten Demonstranten heute mehrere Brücken mir
regenbogenfarbenen Friedensfahnen. "Bush go home", riefen die
Protestierer, die - in Anspielung auf die Misshandlungen irakischer
Kriegsgefangener im Irak - einigen Statuen schwarze Hüte
überstülpten. Etwa 50 Demonstranten wurden zwischenzeitlich
festgesetzt. In dem Interview mit "Paris Match" hatte Bush zu den
Folterungen gesagt, die "Ehre" der US sei dadurch in Mitleidenschaft
gezogen worden.
Die italienische Regierung hat vor möglichen Zusammenstößen beim
Bush-Besuch am Freitag gewarnt. Linksparteien riefen zu einer
Massendemonstration gegen Bushs Politik im Irak auf. 10.000
Sicherheitskräfte sollen bei der eintägigen Visite zum 60. Jahrestag
der Befreiung Roms von der Nazibesatzung für Sicherheit sorgen.