... und zwar mit diesen Zeilen:
Längst gibt es eine bundesweite, aber vor allem im Osten wurzelnde heterogene Bewegung von Wählern, die das klassische bundesrepublikanische Mitte-Spektrum ablehnt. Längst gibt es sehr grundsätzliche Zweifel im bundesrepublikanischen Modell.
Das einzige, was mich hier stört, ist die Verwendung des Begriffs "klassisch". Denn nach meinem Begriff sieht die deutsche Parteienlandschaft in klassischer Betrachtung deutlich anders aus, als sie das seit ca. 25 Jahren tut.
In diesem Wandel um die Jahrtausendwende herum liegt meiner Meinung nach ein nicht geringer Teil der Ursachen für das, was wir heute in der Politik-Landschaft haben. Diese grundsätzliche Dimension dessen, was damals geschehen ist, wird aus meiner Sicht viel zu wenig thematisiert und ihrer anhaltenden Bedeutung entsprechend eingeordnet.
Was ist damals geschehen? Wir blenden zurück:
Birne war Kanzler, Gas-Gerd war noch nicht Gas-Gerd, sondern Minipräsi in Niedersachsen, die Grünen hatten das Bündnis 90 geheiratet und die FDP schwenkte von traditionell liberaler Politik auf neoliberale Politik. Außerdem gab es die PDS mit Frontmann Gysi, die darum rang, sozialistische Gedanken ins nächste Jahrtausend zu bringen.
Was dann geschah war, dass man auf die Idee kam, sich politisch "in die gesellschaftliche Mitte" zu bewegen, wie man das damals nannte. Dort waren die Union und die FDP offenbar schon weigehend angekommen, denn insbesondere SPD und Grüne änderten ihren Kurs in genau diese Richtung.
Konkret begann der frisch gewählte Kanzler Schröder seine Partei mit aller Gewalt auf einen derart neoliberalen Kurs zu zwingen, dass ihm die FDP eigentlich umgehend die Ehrenmitgliedschaft hätte verleihen müssen. Der linke Flügel der Partei versuchte einige Jahre Wiederstand zu leisten, brach jedoch spätestens mit dem Abgang von LaFo endgültig zusammen und begann ein trauriges Schattendasein zu fristen, aus dem er sich bis heute nicht wirklich befreien konnte. Denn Schröder hallt noch heute in der SPD massiv nach. Der amtierende Kanzler stammt aus der alten Schröder-Riege, ebenso wie der amtierende Bundespräsident - beides Schwergewichte, an denen man nicht vorbei kommt, und die, auch wenn man sich öffentlich mittlerweile von Schröder distanziert, dessen Ideologie doch noch immer weiter tragen. Damit hörte die SPD also auf, die Partei des kleinen Mannes zu sein, die einen klaren Schwerpunkt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Angestellten und Arbeiter setzte und im Schulterschluß mit den Gewerkschaften die sozialen Errungenschaften der zuvor vergangenen Jahrzehnte weiter zu entwickeln. Vielmehr wurden ebendiese nun massivem Beschuss ausgesetzt - Agenda 2010 und die Hartz-Prozesse kamen.
Gleichzeitig fällten die Grünen ebenfalls eine Grundsatzentscheidung. Getrieben ausgerechnet von Joschka "Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch" Fischer wolle man von nun an nicht mehr "Fundamentalpolitik", sondern "Realpolitik" machen. So verabschiedete sich also auch diese damals noch vergleichsweiese junge Partei von den Werten, denen man sich zuvor verschrieben hatte - ökologisch sinnvolle Politik, Frieden, soziales Engagement. Insbesondere ersterer Punkt schmerzt rückblickend besonders, denn hätte man den bereits damals konsequenter verfolgt, dann hätten wir heute erheblich weniger Druck aus den Klima-Themen (die ja damals bereits auf den Tischen lagen) haben können.
So schwenkten also speziell diese beiden Parteien in die so genannte Mitte, in Richtung Wirtschaft, Freihandel usw. usf.
Folge: nicht geringe Teile ihrer Anhängerschaft - Umweltfreunde, Friedensverfechter, Arbeiter, Angestellte - hatten plötzlich keine wirkliche Heimat mehr bei den politischen Parteien oberhalb der 5%-Hürde.
Es entstand ein Vakuum.
Eine Zeit lang schien es, als ob die Linkspartei dieses Vakuum füllen könnte. Jedoch funktionierte das leider nur so lange, wie LaFo es schaffte, als Frontmann und Leitfigur aufzutreten und den Laden halbwegs zusammenzuhalten. Nach seinem Abgang zeigte sich jedoch, dass es in dieser Partei zu viele unterschiedliche Strömungen in zu viele unterschiedliche, mitunter gegensätzliche Richtungen gab und gibt. In der Folge beschäftigte sich diese Partei jahrelang mehr mit sich selbst als mit den Menschen, die sie eigentlich wählen sollten. Was letzteren nicht verborgen blieb.
Das Vakuum kehrte zurück.
Und genau dieses Vakuum verstand nun die AfD zu füllen. Mit einem Maß an populistischem Geschick, das als solches in der Geschichte dieses Landes seines Gleichen sucht, begann nun diese Partei damit, all die Unzufriedenen, die sich polistisch sonst nirgendwo mehr wiederfinden konnten, einzusammeln.
Und das tut sie noch heute - die Mobilisierung von Zehntausenden Nichtwählern in Brandenburg allein spricht da meiner Meinung nach eine klare Sprache.
Lange Rede, kurzer Sinn: das mit der Mitte stimmt. Wenn sich die etablierten Parteien nur noch darum kümmern, dann bleibt alles drum herum ohne Beachtung. Und das schafft Unzufriedenheit.
Und das sind die Früchte, die Schröder und Fischer damals gesät haben, die eine Frau Merkel mit tatkräftiger Unterstützung der von Schröder traumatisierten Sozialdemokratie gedüngt und bewässert hat, und die AfD und neuerdings offenbar auch BSW heute ernten.
Und damit sind wir bei der Situation, die sich heute abzeichnet, angekommen.
Wie sie sich lösen ließe, das liegt dem entsprechend eigentlich klar auf der Hand. Nur wird das mit der Zeit zunehmend schwieriger - und man hat schon sehr, sehr viel Zeit verstreichen lassen, die man für Reflektion hätte nutzen können. Nun treten auch neue Akteure wie AfD und BSW an, um die abgehängten Menschen wieder mitzunehmen - das macht die Sache nicht einfacher.