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  • Raumflieger

388 Beiträge seit 12.08.2024

Herr Suchsland stellt eine spannende Frage.

Quotieren wir mal den Abschnitt:

Natürlich dürfen sie das, man darf sich allerdings auch umgekehrt fragen, warum die gleichen Wähler vor 35 Jahren unbedingt dieser Bundesrepublik beitreten wollten, wenn dort doch alles so schrecklich ist und "Volksverräter und "Lügenpresse" seitdem den Ton angeben und die "nationale Front" (AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt) um den ihnen zustehenden Anteil prellen.

Also erstmal stimmt das so nicht ganz. Vor 35 Jahren wollten die DDR-Bürger nicht der BRD beitreten. Zunächst ging es nur um Reformen der DDR zu einem demokratischeren Staat. Wer die Geschichte da hinreichend genau beleuchtet, weiß das auch. Die Idee der Wiedervereinigung kam erst später dazu und wurde vor allen Dingen durch die "DM" getragen, die ja auch in der DDR einen hohen Stand hatte - denn dafür konnte man ja im Intershop Dinge kaufen, die es sonst nirgendwo gab. "Harte Devisen" sozusagen.

Aber spielen wir mal durch: der Beitritt fand ja statt und wurde auch politisch umgesetzt. Allerdings möchte ich gern die von Herrn Suchsland gestellte Frage beantworten: Hätten die Menschen damals gewusst, wo sie effektiv 25 (!) Jahre später stehen, hätte sie das Versprechen von westlichem Wohlstand und der DM nicht hinterm Ofen vorgelockt. Wenn sie gewusst hätten, dass sie sprichtwörtlich aus der Bratpfanne ins Feuer gelangen, wären sie bei dem geblieben, was sie hatten.
Wieso ich "25" statt "35" Jahre sage? Weil das, was wir in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sehen, halt die Früchte der letzten 10 Jahre politischen Missmanagements sind. Schon vorher waren viele Regionen im Osten abgehängt, aber zumindest wurde nicht medial und politisch auf die Menschen mit der groben Keule eingeschlagen. Heute fühlen sich immer mehr Ostdeutsche nicht nur als Menschen zweiter Klasse in der "Sonderwirtschaftszone", sondern eben noch diskriminiert, marginalisiert, nicht ernstgenommen in ihren Sorgen und Nöten.

Wenn Herr Suchsland der Meinung ist, man solle einfach den Osten ignorieren, weil "viel weniger Menschen als im Westen" (im Grunde isses ja so), dann gibt das nur noch mehr Nahrung für den Protest. Denn das ist am Ende das einzige legitime Mittel was noch geblieben ist, um überhaupt politisch wahrgenommen zu werden.

Am Ende sind es nicht nur die Versäumnisse von 35 Jahren, sondern die allgemein zunehmende Abneigung gegenseitig. Im Osten will man halt keine Clanstrukturen, keine No-Go-Areas, man möchte seinen mühsam erarbeiteten Wohlstand nicht wegreguliert haben über Steuern und Abgaben. Nach 35 Jahren ist der durchschnittliche Ostdeutsche 30% schlechter bezahlt als sein Kollege im Westen. Im Osten leben überdurchschnittlich viele Mindestlöhner. Eine Angleichung der Lebensverhältnisse hat es nie gegeben. Und jetzt verliert man auch noch das Vertrauen in die Demokratie, weil "egal, was man wählt, man bekommt immer nur Kröten vorgesetzt". Im Grunde fühlt man sich also wieder an die DDR erinnert. Und nach 35 Jahren wieder da angelangt zu sein, was man vor all den Jahren besiegt und überwunden geglaubt hatte, ist halt mehr als nur Zäsur im Osten.

Begreift freilich niemand in den alten Bundesländern. Hier herrscht Radfahrerkultur: nach oben buckeln, nach unten treten.

Also am Ende muss sich durchaus die GESAMTE Republik die Frage gefallen lassen, warum im Osten die AfD so stark wird. Wenn man sich der Realität nicht stellen will und weiter den Kopf in den Sand steckt, kann das auch noch schlimmer werden. Vielleicht doch mal Schluss machen mit der politisch verordneten Hybris und Ursachenforschung betreiben und dann gegensteuern? Mit Wahlversprechen bezüglich Migrationspolitik ist das nicht getan. Überzeugen wir erstmal die Menschen, dass es noch "Demokratie" in Deutschland gibt.

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