Captain Data schrieb am 28.02.2022 17:32:
1. Hilferuf aus der Ukraine:
Was wir grad tun, hieß früher "Kriegsverlängerung". Der Krieg ist verloren!
Der Drops ist, denke ich, noch nicht gelutscht. Die nächsten Tage dürften mehr Klarheit darüber bringen, wie lang und schmutzig die Sache nun wird oder nicht.
Alles, was jetzt noch passiert, treibt den Blutzoll in die Höhe und macht aus dieser regionalen Angelegenheit einen Flächenbrand.
Das einzige, was derzeit brennt, ist die Ukraine. Und das ist ein Unding, gelinde gesagt.
Was ist an "Eigenschutz" falsch zu verstehen? Ich will dem russischen Bären keinen Grund geben, nach Berlin zu marschieren.
Und Du glaubst, dass, wenn wir die Hände in den Schoß legen, nichts machen und Putin gewähren lassen, dass er dann aufhört?
Das hat schon bei der Sache mit der Krim nicht funktioniert.
Humanitäre Hilfe ist in Ordnung. Waffen oder Ausrüstung liefern sollte bei unserer Geschichte ein absolutes NoGo sein!
Wenn's nach Geschichte geht, dann dürfte niemand niemandem Waffen liefern. Nicht die Amerikaner, die ihre Ureinwohner abgeschlachtet haben und den kläglichen Rest noch heute wie Dreck behandeln, nicht die Briten, Spanier, Niederländer, Franzosen, die sich um die ganze Welt gemetzelt und geplündert haben und nach Belieben Handel mit Menschen, die sich nicht wehren konnten, betrieben haben, und so weiter und so fort.
Denke, es ist niemand da, der den ersten Stein aus dem berühmten biblischen Sprichwort werfen könnte.
2. Wir haben 8 Jahre lang die Ukrainer im Stich gelassen!
Jetzt bin ich mal gespannt: was hätten wir die letzten 8 Jahre lang mit der / für die Ukraine machen sollen?
8 Jahre lang Bürgerkrieg, Westukraine (Ukrainer) gegen Ostukraine (ethnische Russen, Staatsbürgerschaft-Ukrainer).
Ebendies sehe ich als das Hauptproblem: das Volk in der Ukraine ist tief gespalten - und das nicht erst seit 8 Jahren. Ich hab in den letzten Tagen einiges an Mühe darauf verwendet das näher zu recherchieren - ist gar nicht so einfach, dazu glaubwürdig erscheinende Daten zu finden. Was ich jedoch aus all dem im Moment entnehmen kann ist, dass dieser Riss ziemlich genau durch die Mitte des Volkes zu gehen scheint. Es sieht nicht so aus, als wären es Minderheiten, die da aufeinander los gehen. Vielmehr scheint es ungefähr ein 50:50 zwischen den jeweiligen Fraktionen zu sein. Auch, was die Zustimmung zu EU- oder Nato-Beitritt angeht, scheint sich ein solches Bild zu zeichnen.
Woraus folgt: sobald Du für die eine Seite Partei ergreifst, hast Du die andere an der Backe.
Diese Situation müsste aus meiner Sicht innerhalb der Ukraine erst einmal geklärt werden.
Und eine solche Stabilisierung hat Putin mit seinem Einmarsch jetzt unmöglich gemacht.
Ganz oben und vorn die so genannten Asow-Brigaden. Gern mal googeln, welche Freunde der Sonne das sind. Mein Tipp an der Stelle: traue weder unseren Medien noch denen der Russen oder Ukrainer. Google auch mal nach dem "Nationalhelden" dieser Truppe.
Im Westen sind die Brigaden Teil dessen, was verniedlichend als "Rechter Sektor" bezeichnet wird. Dieser "Rechte Sektor" hat sich vorgenommen, die Russen aus der Ukraine zu vertreiben. Gemeint sind damit aber nicht die Russen auf der Krim, sondern die ukrainischen Russen, die da schon seit ein paar Generationen leben.
Eben. Stabilität sieht anders aus, genau das ist ein ziemliches Problem. Das kann man vielleicht aus der jüngeren Geschichte heraus erklären - ein gutes Vierteljahrhundert ist nicht grade viel Zeit für ein Land, um sich von einer ehemaligen Sowjet-Repubilk zu etwas anderem zu verwandeln. Selbst für ein Land, das in der Lage ist, so etwas in Ruhe und für sich zu machen - was bei der Ukraine wohl noch nie der Fall war.
3. Der Westen hatte nie Interesse an einer Deeskalation.
Hier stellt sich die Frage, wie eine solche Deeskalation denn hätte aussehen können oder sollen. Tatsache ist: sobald Du für die eine Seite Partei ergreifst, hast Du die andere an der Backe. Nach allem, was ich gelesen habe, wäre eine Teilung des Landes auch nicht in Frage gekommen, denn dann hättest Du gleich alle beide an der Backe gehabt.
Also was wäre zu tun gewesen?
Ich denke, am besten wäre es gewesen, sich selbst heraus zu halten, und dafür zu sorgen, dass auch kein anderer sich einmischt. Damit die Ukraine die Chance bekommt, aus sich heraus zu dem zu werden, was sie gern sein möchte, was immer das auch am Ende geworden wäre.
Aber auch das wäre wohl nicht gegangen, ohne dem russichen Bären, wie Du es nennst, auf die Tatzen zu treten, was Du ja auch nicht getan sehen möchtest.
Es bleit also die Frage: was hätte man tun sollen?
Und versteckt sich hinter dem scheinheiligen Argument der "Staatensouveränität".
Staatssouveränität halte ich für alles andere als scheinheilig.
Natürlich kann man das tun. Aber dann muss man eben die Russlands genauso respektieren und nicht je nach Lust und Laune mal Souveränität zugestehen oder eben nicht. Wo war eigentlich der Ruf nach Souveränität, als man in den Irak einmarschierte
Sehr viel zu leise. Das Ding hätte nie geschehen dürfen, und dass die USA dafür nicht gewaltig einen eingeschenkt bekommen haben, halte ich für einen Skandal sondersgleichen.
oder Afghanistan angriff?
Puh, die Sache finde ich für meinen Teil extrem schwer zu beurteilen. Da spielt nicht nur 9/11 mit hinein, sondern auch eine jahrzehnte lange Vorgeschichte. Die Islamisten, die man (nicht nur) in Afghanistan bekämpft hat, sind ja weder von heute auf morgen noch ganz zufällig zu der starken Kraft geworden, die sie um die Jahrtausendwende herum waren.
Das alles gehört mMn. einmal gründlichst aufgearbeitet - fragt sich nur, wer das neutral tun könnte.
Wie dem auch sei, ich kann nicht für mich in Anspruch nehmen, dieses ganze Geflecht auch nur ansatzweise durchdrungen zu haben, deshalb möchte ich keine Parallelen zwischen Ukraine und Afghanistan ziehen.
Wie sieht's aus mit der Souveränität der Iraner
Besser als mit der der Ukraine würde ich sagen - oder ist etwas an mir vorbei gegangen und irgend jemand ist da in letzter Zeit einmarschiert?
oder diverser afrikanischer Staaten?
Um Afrika zu diskutieren müsste man, denke ich, schon etwas genauer werden. Da gibt es imho einen derartigen Dschungel von unterschiedlichen Fraktionen mit unterschiedlichen Historien, Hintergründen und Verflechtungen, dass ich es kaum für möglich halte, das auf einer allgemeinen Ebene halbwegs sinnvoll zu besprechen.
Zumal es hier auch nicht um Afrika, sondern die Ukraine geht, was mir für den Moment schon kompliziert genug erscheint.
Und warum wird gern auch in Südamerika gezündelt?
Man hätte die Nummer ganz leicht deeskalieren können: die Ukraine setzt das Kiewer Abkommen um.
Was schwierig ist, so lange irgend jemand ständig Öl ins Feuer gießt und dafür sorgt, das gekämpft wird.
Genau das ist jedoch imho geschehen.
Die Ukraine tritt nicht der NATO bei, die Ukraine wird kein Protektorat des Westens und die Ukraine bleibt ein "neutraler Staat".
Ein neutraler Staat mit einem überaus mächtigen Nachbarn, der diesen Staat sehr viel leiber von sich kontrolliert als neutral im Sinne von Unabhängig sehen möchte, wie dieser Nachbar seit dem Abgang von Janukowytsch in kaum mißzuverstehender Weise deutlich gemacht hat.
Das wäre alles gewesen.
Ich bezweifle stark, dass das so funktioniert hätte. Es gibt imho zu vieles, was auf das Gegenteil hin deutet.
Aber nein. Man wollte nicht. Und wundert sich, wenn der Russe die Faxen dicke hat.
'tschuldigung, aber war es nicht der Russe, der nacheinander die KSZE-Schlussakte, das Memorandum von Budapest, die Charta von Paris, die Nato-Russland-Grundakte, den ukrainisch-russischen Freundschaftsvertrag und noch ein paar andere Vereinbarungen in den Dreck getreten hat?
Und jetzt soll man zur Krönung all dessen darauf Rücksicht nehmen, dass der Russe die Faxen dicke habe?
Sorry, das kann ich so beim besten Willen nicht sehen.
Und unsere Seite lässt sich grob zusammenfassen: solange es sich gegen den Russen richtet, ist es gerecht.
Aus den genannten Gründen sehe ich das ganz grundsätzlich anders.
Wer hat den kalten Krieg nie aus'm Kopf bekommen, frage ich mich?
Na, dann denk' mal drüber nach.