Die NATO hat ja auch darauf reagiert und ihre Strategie und ihre Funktion auf der Generalversammlung in Rom 1991 geändert. Konkret bedeutete das einen Abbau der konventionellen Truppen auf weniger als die Hälfte. Die US-Truppen in Deutschland verringerten sich von 250.000 auf heute 35.000. Etwa später erweiterte die NATO ihre Aufgaben von der reinen Bündnisverteidigung auf friedenssichernde Maßnahmen im Auftrag der UN oder der OSZE, auch außerhalb des NATO Gebiets. Mit der NATO-Russland Grundakte verabschiedete sich die NATO von ihrer Rolle als Gegengewicht zum Ostblock und ging eine weitgehende Sicherheitspartnerschaft mit Russland ein, das im Gegenzug seine Bedenken gegen die Osterweiterung zurückzog und die Bündnisfreiheit der ehemaligen Ostblockstaaten anerkannte. Die beantragten dann fast alle die NATO-Mitgliedschaft und wurden aufgenommen.
Unter Putin änderte sich die russische Haltung. Seit dem Jugoslawienkrieg war klar, dass Russland sich nicht in eine "westlich" geprägte Sicherheitsarchitektur würde einbinden lassen und wieder zu dem alten Denken in Einflusssphären zurückkehrte ("Marsch auf Pristina"). Dieser Prozess der Verhärtung gegenüber dem Westen korrelierte mit dem Ende der Demokratisierung in Russland selbst.
Es war Russland, das die NATO wieder zum Feind erklärte und dann (wenig überraschend) feststellen musste, dass sich die Kräfteverhältnisse seit dem Ende der Sowjetunion zu seinen Ungunsten verschoben hatten. Aber über zehn Jahre lang hatte Russland (und auch Putin selbst) das so nicht interpretiert und sah sich selbst als Teil eines Europas ohne Machtblöcke.
Erst danach kam das neurussische Narrativ auf, das die Veränderungen wieder im Licht der alten Blöcke, die man doch überwunden glaubte, interpretierte. Da war dann die NATO plötzlich an Russland "herangerückt" oder hatte es sogar "eingekreist". Die NATO wurde wieder als feindliches, von der Supermacht USA gesteuertes Instrument gesehen, nicht mehr als Sicherheitspartner. Diese Rhetorik wurde immer weiter verschärft und gipfelte 2022 in den "10 Punkten", die auf eine zwangsweise Rückabwicklung der Osterweiterung und eine Restaurierung der Blöcke von vor 1990 hinausliefen.