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  • Rubashov

846 Beiträge seit 02.07.2000

Re: Ukrainische Entscheider haben ungeschickt agiert

Valitts schrieb am 02.09.2021 11:24:

Haben sich nicht die kleineren Geschwister, in totaler Verkennung der Lage, vom Größeren abgewand?

Sowohl als auch. Kommt auf die jeweilige Republik an. Litauen, Lettland, Estland und Georgien waren seit Ende der 1980er Jahre ganz klar auf einem Ausstiegspfad.

Aber: Nicht die anderen. Denn den Eliten derer Regionalethnien war sehr wohl klar, wie sehr sie von dem Ressourcentransfer innerhalb der Union abhängig waren.

Letztendlich war die RF unter Jelzin der treibende Motor bei der Auflösung der Union. So hat die RF schon am 12.06.1990 ihre Souveränität gegenüber der Union erklärt, d.h. alle Unionsregeln unter Vorbehalt gestellt (als 6. Teilrepublik nach Estland, Litauen, Lettland, Aserbaidschan und Georgien). Das war faktisch das Ende der Union und eine komplette Entmachtung dieser durch den größten und wirtschaftlich leistungsfähigsten Teilstaat, von welchem alle anderen Teilstaaten wirtschaftlich faktisch komplett abhingen.

Die insbesondere bei "liberalen" Historikern und Politologen populäre Darstellung, nach welcher die kleinen randständigen Unionsrepubliken sich von der Union losgesagt hätten, um einer "russischen Bevormundung" zu entkommen, ist mehr Wunschdenken denn mit Quellen belegbar.

Im Wertewesten wird zwar gerne das Narrativ gepflegt, wonach die Unabhängigkeitserklärungen der Teilrepubliken der Sowjetunion ein Schritt einer späten Entkolonialisierung seien, welche das "Imperium" Sowjetunion als Kontinuum des Russländischen Kaiserreiches als "letzten Vielvölkerstaat" aufgelöst hätten. Bei diesem Narrativ wird jedoch geflissentlich übersehen, dass es innerhalb der RF und deren Eliten im Kontext der Wirtschaftsreformen ab 1985 ein populäres Bestreben gab, die Randgebiete der Union wirtschaftlich von der RF abzukoppeln und den Ressourcentransfer innerhalb der Union komplett neu zu gestalten. Aus Sicht dieser russischen Eliten waren die Randgebiete der Union, hier insbesondere die drei südkaukasischen und die fünf zentralasiatischen Unionsrepubliken Kostgänger der RF und es gab die Vorstellung, dass ohne den Ressourcentransfer aus der RF in diese Republiken das Leben der Einwohner in der RF deutlich besser wäre.

Das war der Kontext, in welchem im Juni 1990 die RF alle Unionsregeln unter Vorbehalt gestellt hat und damit eben auch den Ressourcentransfers aus der RF in die Randgebiete. Wenn der größte Nettozahler der Union jedoch alle Transferleistungen unter Vorbehalt stellt, dann ist die Union faktisch tot.

Dieser chauvinistische Aspekt der Reformen ab 1985 wird von den "liberalen" Narratoren gerne übersehen, um das Märchen von der "liberalen" "Befreiung" vom "kommunistischen Joch", das Märchen von der "demokratischen Revolution" nicht so ganz offensichtlich ein Märchen sein zu lassen. Versteht man die Auflösung der Sowjetunion statt dessen als eine Befreiung der RF vom Ballast des Ressourcentransfers, dann wird auch die Politik in der RF ab 1999 deutlich plausibler. Die RF hat sich der Kostgänger der Union entledigt, ist danach deutlich schneller als mit diesen Republiken durch eine innere Modernisierung gelaufen und dominiert weiterhin deren Außen- und Sicherheitspolitik.

Ganz so wie das Vorbild UK. Die Kolonien wurden als unwirtschaftlich aufgegeben, blieben jedoch zu einem großen Teil im Dominion.

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