... um es noch zu präzisieren; ich lese manche Artikel nicht, weil ich mich mit vielem bereits vor langer Zeit auseinandergesetzt habe; so kannte ich die Ausführungen von Noam Chomsky bereits;
... und ganz wichtig (ich setze hier einmal das Einverständnis der Herausgeber voraus; nenne der Telepolis-Redaktion auf Wunsch gerne die genaue Quellenangaben) ist folgendes:
Bereits in der Festschrift zum 50jährigen Bestehen eines Gymnasiums gab es bereits 1960 folgende Überlegungen eines von mir sehr geachteten Lehrers der Mathematik und Naturwissenschaften zu dem gefährlichen Auseinanderdividieren von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften:
KETZERISCHES UND GEGENWÄRTIGES ZU DEN NATURWISSENSCHAFTEN
eine Fächergruppe steht heute so im Mittelpunkt des geistigen und umweltformenden Lebens wie die Naturwissenschaften, die besonders dort, wo sie ihre ordnenden Prinzipien und Gesetze mathematisch unterbauen konnten, einen faszinierenden Eindruck der Klarheit, Sicherheit und - leider bei vielen, die das System seit langem nicht mehr durchschauen - den Eindruck absoluter, beding- gungsloser Wahrheit erwecken. Endlich ein fester Punkt im All, an dem sich der entwurzelte Mensch neu orientieren kann! Wenn man bedenkt, daß selbst die Wissenschaftler des vorigen Jahrhunderts diesem Glauben verfielen: Gebt uns noch 50 oder 100 oder 200 Jahre, und wir stellen die allgemeine Weltformel auf, die alles erkennt und keinen Raum mehr läßt für Gott und Glauben, so ist das Absinken der Massen in Materialismus und Vergötterung der Technik weiter nicht verwunderlich.
Alle Einsichtigen haben seit langem erkannt, daß dieser Vergötzung des äußeren Bildes der Naturwissenschaften und der Technik ein Damm entgegengestellt werden muß, daß der Mensch Herr der Technik bleiben muß und nicht zu ihrem Diener, zu ihrem Werkzeug absinken darf. Die Naturwissenschaften müssen ihren Ausgleich finden in den Geisteswissenschaften. Stärkere Betonung der Geisteswissenschaften, stärkere Verankerung des Menschen in der rein geistigen Sphäre, Naturwissenschaften in tieferer Form nur noch für die Spe- zialisten, das sind die Parolen, die als Heilmittel angepriesen werden und ihren Niederschlag in den Reformversuchen der letzten Jahre gefunden haben. (Auflockerung der Prima.) Man übersieht dabei vollständig, daß ein solcher Gegensatz zwischen Natur- und Geisteswissenschaften gar nicht gesetzt werden kann. Wissenschaft steht immer im geistigen Bereich, oder sie ist keine Wissenschaft. Es dürfte schwer fallen, eine Definition zu finden, die diesen Gegensatz manifestiert und dem Begriff der Wissenschaft gerecht wird. Sie könnte nur vom Objekt her versucht werden, vom Sekundären also, während primär in jeder Wissenschaft das Subjekt steht, der Mensch, der ein Ordnungsschema sucht, mit dem er in seiner Vorstellungswelt die unendliche Mannigfaltigkeit des Geschehens und Seins ordnen kann.
Es ist auch abwegig zu glauben, daß eine Verstärkung der nicht naturwissenschaftlichen Disziplinen die Gefahr der Knechtschaft in der Technik bannen könnte. Das wäre eine Vogel-Strauß-Methode, bei der leicht der Kopf verloren gehen kann. Gegen Auswüchse in der Auslegung und Anwendung der Naturwissenschaften kann nur diese Wissenschaft selbst kämpfen. Nur wer die Situation durchschaut und in ihren inneren Zusammenhängen kennt, bleibt Herr der Lage und wird es bleiben, auch wenn die Technik oder falsch verstandene Naturphilosophie noch drohendere Wolken am Horizont aufziehen lassen.
Hat man denn gar nichts gelernt aus den Kämpfen des vorigen Jahrhunderts? Da hieß es, die organische Welt kann nicht in die Retorte gepreßt werden, bis Wöhler kam und den Harnstoff herstellte - heute steht man bei den Eiweißsynthesen. Der Abstammungslehre wegen wurde die Biologie aus den Schulen verbannt, sie ist mit der Abstammungslehre wiedergekommen. Falsche Waffen am falschen Platz. Gefährlicher sind die Weltformeln, die falsche Philosophie von der voraussetzungslosen Wahrheit, von den Sätzen der Erhaltung von Energie und Masse im All, der falsch verstandene Kausalbegriff, der die Willensfreiheit ausschließen sollte usw. Sie drohen nicht mehr. Ihre Schatten sind auf ihre Plätze verwiesen worden von den Naturwissenschaften! Trotzdem bleibt es bedauerlich, daß so viele Halbwisser diesen Wahngebilden verfallen waren und noch sind. Warum? Weil sie zu wenig geschult sind, um die Spreu vom Weizen zu sondern, und trotzdem die Methode „Augen zu“ nicht mitmachen wollen. Hier hilft nur eins: Gebt jedem, der irgendwo in führender, einflußreicher Stellung steht, so viel mit, daß er selbst in der Lage ist, sich ein Urteil zu bilden.
Nicht die werdenden Naturwissenschaftler, nicht die künftigen Spezialisten brauchen die intensivere Schulung, sondern die geistige Elite außerhalb der Gruppe der Naturwissenschaftler muß zu eigener
Stellungnahme befähigt werden. Deshalb ist es besonders bedauerlich, daß man heute dem Abiturienten den (obligatorischen) philosophischen Abschluß der Naturwissenschaften in der O I verwehrt und hier nur die Interessierten, die Spezialisten schult.
Hier liegt wohl ein entscheidender Fehler heutiger Schulreformer und der öffentlichen Meinung vor: Der junge Mensch soll in seinen geistigen Fähigkeiten entwickelt werden. In welchem Fach ist gleich- gültig. Den besten Erfolg verspricht das Fach seiner Interessenrichtung. Möglich und doch falsch. In seiner Interessenrichtung bildet sich der Mensch selbst, auch ohne Schule. Die Schule als Einrichtung der Gesellschaft hat die Pflicht, dem jungen Menschen das mitzugeben, was diese Gesellschaft später von ihm auf entscheidendem Posten er- wartet: Urteilsfähigkeit u. Grundlagenwissen für eine Urteilsbildung. Das erste wird heute allgemein bejaht, das zweite - in der Lernschule überbewertet - stark vernachlässigt. Dem urteilsfähigen Menschen von heute fehlen die Kenntnisse, auf denen er sein Urteil aufbauen kann. Das wird besonders gefährlich auf den Gebieten, aus denen jeweils die Philosophie, die spezielle Weltanschauung eines Zeitalters erwächst. Da diese im Zeitalter der Maschinen und der Technik ihre Impulse fast ausschließlich von den Naturwissenschaften erhält, ist es unverständlich, wie man hier noch weiterhin auf eine allgemeine Schulung der geistigen Elite verzichten zu können glaubt. Die besondere Betonung an den mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymna- sien ändert daran nichts. Im Gegenteil, sie macht das Ganze nur noch schlimmer: Die naturwissenschaftlichen Gymnasien opfern zu viel Zeit den Naturwissenschaften zum Schaden der anderen Disziplinen, die übrigen Gymnasien tun zu wenig. Die heutige Welt scheint das rechte Maß der Mitte verloren zu haben.