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mehr als 1000 Beiträge seit 10.01.2003

Merkel ist nicht an allem schuld, aber an vielem.

Es heißt ja, Anfang und Ende eines Textes hinterlassen den tiefsten Eindruck. Und so ist es auch hier mit Herrn zum Winkel's Kommentar.

Es handelt sich um einen Kommentar zu Augsteins Kommentar auf SPON.de (siehe Link am Ende des Beitrags). In dem Kommentar geht Augstein wenig zimperlich mit der Kanzlerin um und macht sie zum Ausgangspunkte aller Probleme, was, und da hat zum Winkel durchaus recht, nicht gerecht ist. Auch die martialistische Sprache, die Augstein wählt, ist zu kritisieren. Was mir aber ein bisschen fehlt ist der Gedankenstrich, dass Augstein früher noch Merkel verteidigt hat, ihre "mutige Politik" lobte usw usf. Heute hingegen packt er die gröbste Keule aus, verwendet Kriegsvokabular (zerfetzen und explodieren) und macht sich lächerlich. Denn solches Vokabular passt eher zum rechten Flügel in der AfD denn zum angeblich linken Augstein.

Merkel kann man vieles vorwerfen, auch das "Ausmerkeln" ihrer Koalitionspartner. Wer mit ihr in eine Regierung geht, verliert massiven Zuspruch in der Bevölkerung. Wie ein Blitzableiter - die fehlgeleitete Politik unter Merkel kann ihr nicht viel anhaben, zeitigt sich aber massiv beim Koalitionspartner. Die SPD hat effektiv unter ihr praktisch ein Drittel ihrer Wähler eingebüßt innerhalb einer Legislaturperiode. Die FDP hat es eine Legislaturperiode zuvor direkt aus dem Bundestag gekegelt.
Man kann ihr auch indirekt das Erstarken der AfD vorwerfen, den Grundstein dafür haben aber andere gelegt, nämlich die SPD zusammen mit den Grünen. Nicht der Euro allein hat die Mittelschicht ausgezehrt und immer mehr Menschen in die Armut gebracht, sondern die Agenda-Politik und insbesondere die Hartz-Gesetze. Galt zuvor noch, dass im deutschen Sozialstaat sich niemand als Verlierer fühlen musste (selbst die Langzeitarbeitslosen nicht), wurden durch die Agenda 2010 praktisch ALLE Deutschen bis auf die kleine Oberschicht zu Verlierern. Jeder Arbeitnehmer ist erpressbar geworden, jeder (Langzeit)Arbeitslose ist ein Verlierer dieser Gesellschaft und bekommt es allweilen zu spüren.
Eine Gesellschaft, die mehr Verlierer als Gewinner produziert, verliert aber ihre Legitimation. Was unter der SPD begonnen wurde, verwaltete Merkel weiter. Weil die SPD nur den Anstoß gegeben hat, fällt faktisch fast der gesamte Prozess der Agenda unter die Zeit Merkels und mit ihr auch der Abstieg der Wohlstandsgesellschaft.

Merkel konnte dies all die Zeit nicht viel anhaben, weil die Medien aber auch die Politik jahrelang dem deutschen Michel eingeredet haben, selber verantwortlich zu sein für sein Glück. Und so haben sich Hartz-IV-Empfänger eben eingerichtet in ihrem mittelarmen Leben, so haben sich Erwerbstätige erpressbar gemacht, lieber jeden noch so beschissenen Job zu machen (oder zwei), um ja nicht ALG II bekommen zu müssen. Wir fordern keine Lohnerhöhungen mehr, die Gewerkschaften sind kaputtgespielt und größtenteils ohne nennenswerten Einfluss (und die wenigen, die noch was tun, werden verteufelt von der Presse!) und schnallen seit Jahren den Gürtel enger, für was eigentlich? Für die ominöse Wettbewerbsfähigkeit, von der wir nichts merken? Für die Renditen unserer Oberschicht?
Die Fragen werden absichtlich nicht gestellt, wer es trotzdem tut, wird als Querfrontler abgetan oder als Rechtsextremist diffamiert. Und auf einmal ploppen allenorts "Reichsbürger" auf - eine Bewegung, die vorher höchst obskur und nur einem kleinen Kreis bekannt gewesen ist.

Und eigentlich hätte das auch noch so weitergehen können. Der Michel hat ja bis so 2015 gar nicht realisiert, wie er verarscht worden ist, hat darauf gehofft, dass nach all den Abstrichen auch ieder bessere Zeiten kommen mögen.
Leider hat er die Rechnung ohne Merkel's fataler Entscheidung gemacht: als sie eine Einladung an syrische Flüchtlinge aussprach und der halbe afrikanische Kontinent junge kräftige Männer auf die Reise schickte, damit diese in Deutschland, dem Land, in dem es ohne Beschwerlichkeiten Heim, Reichtung und Autos geben sollte, Fuß fassen konnten. Dieser Moment hat letztendlich eine Entwicklung in Gang gesetzt, welche nicht nur in Europa den Rechten massiven Zulauf beschert haben, sondern auch den Aufstieg der AfD beflügelten. Die Briten traten aus der EU aus, es wurden Deals gemacht mit dem türkischen Diktator - jede Entscheidung seit diesem Moment, als die Grenzen geöffnet und für nicht verteidigbar erklärt wurden durch Merkel, hat die EU weiter entzweiht und offengelegt, wie dünn der Kitt ist, der uns alle zusammenhält, sowohl außerhalb wie auch innerhalb der Gesellschaft.

Was man Merkel NICHT vorwerfen kann indes ist die Unfähigkeit ihrer Koalitionspartner, eine eigene Politik zu verfolgen. Die FDP ist aus dem Bundestag geflogen und die SPD, als reiner Abnickverein wahrgenommen, hat soviel Profil eingebüßt und eine so dünne Personaldecke, dass sie selbst nach Brüssel abgeschobene Politiker zurückholen mussten, um überhaupt jemanden als Kanzlerkandidat ins Rennen schicken zu können. Merkel mag ja die Erosion der Tante SPD begünstigt haben, aber die SPD hat es auch nicht allzu schwer gemacht. Selbst die Agenda-Politik hat sie nicht so schwer gebeutelt wie es das Mitregieren unter Merkel.

Eine dritte Neuauflage der GroKo kann nur eins bedeuten: die SPD verliert weiter an Zustimmung und braucht sich das Etikett "Volkspartei" nicht mehr anzuheften. Die AfD indes ist keine würdige Ablöserin als Volkspartei, sie ist einfach eine sehr große Protestpartei. Vielleicht funktioniert sie ja auch als "Volksprotestpartei". Zum Regieren taugt sie nichts. Sollten also Neuwahlen anstehen oder sollte gar die gegenwärtige Koalition die nächsten Jahre durchhalten, werden die Karten wieder neu gemischt. Und mit wem will Merkel dann die Regierung bilden? Oder gibt es vielleicht doch endlich einen Zustand, bei dem der Blitzableiter nicht mehr funktioniert und Merkel für ihre Entscheidungen bzw. das Fehlen derselbigen Konsequenzen tragen muss?

Das sind so die Fragen, die sich für mich stellen. Die stellt kein Augstein und auch Herr zum Winkel verzichtet drauf. Lieber outet er sich als Merkel-Fan mit seinen letzten Sätzen.

Schade.

Link;
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/grosse-koalition-genossen-stoppt-die-gruselko-kolumne-a-1193041.html

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (13.02.2018 13:21).

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