Soll das heißen, dass alle Maßnahmen zum Schutz der Verfassung ihrerseits verfassungswidrig sind, weil sie eine unzulässige Festlegung auf eine Staatsform bedeuten würden, obwohl der Art 146 die Frage der endgültigen Verfassung ausdrücklich offen lässt? Darauf könnten sich dann von der RAF bis hin zu Islamisten alle Wirrköpfe und Umstürzler berufen. Gegen eine Änderung der im Grundgesetz formulierten FDGO billigt der Art 20 Abs. 4 jedem Bürger sogar ein Widerstandsrecht gegen den Staat zu.
Die Teile des Grundgesetzes, die zum Kernbestand der FDGO gehören und deren Bekämpfung eine Beobachtung durch den VS begründen können, sind in §4 Abs. 2 des Verfassungsschutzgesetzes genannt. Sie stammen ursprünglich aus einem Verfassungsgerichtsurteil von 1952, die gleichen Formulierungen finden sich (bis auf den letzten Punkt) auch im politischen Strafrecht (§92 Abs 2 StGB).
Das sind (in Stichworten):
- die Gründung der Staatsmacht auf den durch allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen bekundeten Volkswillen
- die Rechtstaatlichkeit
- die Ausübung einer parlamentarischen Opposition
- die Abwählbarkeit der Regierung durch die Volksvertretung
- Unabhängigkeit der Gerichte
- Ausschluss von Gewalt- und Willkürherrschaft
- die Menschenrechte, so wie sie im GG konkret formuliert sind
Es sind denn auch nicht die Forderungen der AfD nach einer tiefgreifenden Änderung des parlamentarischen Systems, die der VS beanstandet. Jedenfalls nicht, solange dabei die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Souverän (Punkt 3) gewährleistet bleibt. Dies ist laut dem Gutachten des VS vom Januar 2019 bei der AfD der Fall, auch wenn der Verweis auf "Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild" wenig konkret ist. Ein ausformulierter Entwurf für einen in diesem Sinne geänderten Verfassungstext existiert von Seiten der AfD bisher nicht.
Die Knackpunkte sind vielmehr die angestrebte prinzipielle rechtliche Ungleichbehandlung von Deutschen und Nichtdeutschen, wobei auch bei deutschen Staatsbürgern nach Genetik und kulturellem Hintergrund zwischen "echten" und "Passdeutschen" unterschieden wird. Als Beispiel werden hier die Religionsfreiheit, sowie die Forderung nach Streichung des Existenzminimums für Flüchtlinge und andere Gruppen genannt. Das Existenzminimums gehört nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG zu den vom GG garantierten Menschenrechten und damit zur FDGO.