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  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

to boldly go

'Das halte ich für Schwachsinn'.Wenn man dann aber nachbohrt, warum genau es nicht funktionieren soll, kommt nichts mehr.[Auf den Vorschlag auszulosen statt zu wählen.)

In dieser Passage steckt in nuce, was an den ganzen Ausführungen Kahls positiv ist. Nämlich der Brainstorming-Ansatz, so zu tun, als könnte man das Faktische mit dem Zauberstab in etwas anderes überführen. Sich also der Denk-Scheuklappen entledigen, dadurch schnell merken, dass die bürgerliche sogenannt pluralistische Demokratie nicht die einzige Möglichkeit ist, auf nicht ausschliesslich autoritäre Weise Politik zu betreiben, also gesellschaftsbestimmende Entscheidungen zu treffen. Und auch viele der auf derselben Basis entstandenen inhaltlichen Konzepte sind sehr bedenkenswert, wenn auch Manches im Praxisdschungel nicht die so eindeutig positiven Auswirkungen hätte, die Kahl optimistisch unterstellt.

Die meisten Bürger sind TINA-verseucht. Sie sind zutiefst davon überzeugt, dass es im Wesentlichen keine Alternative zum Faktischen gebe. Das ist selbstverständlich Unsinn. Es gibt fast zu allem Alternativen. Wir leben in irgendeiner Welt, nicht der allerschlechtesten (obwohl, meiner Ansicht nach, nicht sehr weit davon entfernt), aber ganz sicher nicht in der besten.

Das Hauptproblem steckt woanders. Das Faktische hat während seiner Genese ein unübersehbares Gewirr von Abhängigkeiten und vorallem Interessen geschaffen. Diejenigen, die unumschränkt profitieren sind zwar in der Minderheit, doch wenn man sie zu denen addiert, die glauben, zu profitieren, wird sie zu einer Mehrheit. Kommt noch dazu, dass die Minderheit gerade eben aufgrund ihres Profitierens sehr viel Macht akkumuliert hat. Kurz, die Verteidiger des in Frage gestellten, gar angegriffenen Faktischen sind zahlreich und mächtig. Wer glaubt, sie auf parlamentarischem Weg überzeugen / besiegen zu können, gibt sich Illusionen hin, hat noch nicht ganz verstanden, auf welchen Mechanismen die Machtausübung der herrschenden bürgerlichen Klasse beruht.

Es gibt aber auch weitere Probleme. Sprache ist geduldig. Man kann vom gezähmten Kapitalismus sprechen. Nur ist diese Zähmung noch nie gelungen, auch mit den hier vage vertretenen sozialdemokratischen Ansätzen nicht. Es handelt sich um eine contradictio in adjecto, 'Kapitalismus' ist inhärent nicht zahm, er wird nie zum zahmen Nutztier, der hilft, eine gerechte, gut funktionierende Gesellschaft zu schaffen und zu erhalten. Kapitalismus ist inhärent das, was nach Mehr strebt, immer weiter, ewig. Es ist bezeichnend, dass die ökologische Frage, die eben deshalb heute so virulent ist, von Kahl nicht ernsthaft thematisiert wird.

Nochmals; positiv ist der Ansatz, andere, virtuell realisierbare Welten zu ersinnen. Aber das reicht nicht. So wie es ausschaut, wird höchstens ein wenig politische Unterhaltung draus.

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