Pnyx (1) schrieb am 08.07.2020 23:07:
Oberflächlich kritisch - aber wenns ans Eingemachte geht, in die Praxis, bewegt sich Tebartz van Elst denn doch sehr nahe am Mainstream. Der Vergleich zwischen Ritalin und einer Brille ist offensichtlich grob verharmlosend. Es beginnt mit für jemanden, der ständig auf seine Wissenschaftlichkeit pocht, recht simplifizierenden historischen Vergleichen, 'Mittelalter' und seine Bauernsohnvergangenheit fliessen ineinander, geht dann weiter mit der faktischen Aufhebung jeglicher Kritik am Konstrukt ADHS durch die Aussage, zwischen Krankheit und Gesundheit sei in diesem Fall schwer abgrenzen, was impliziert, dass es überhaupt eine sein kann. Anschliessend räumt er mögliche Nebenwirkungen ein, die bei der Ritalineinnahme eintreten können, ohne allerdings konkret zu werden und kulminiert dann seine Ausführungen mit:
Ich kenne aber auch Fälle, in denen die Folgen insgesamt sehr positiv sind.
Null Konkretion. Und schlimmer, wie will er die "Folgen insgesamt" beurteilen können? Wie nahe ist er dem Betreffenden? Was weiss er darüber, was für Spätfolgen die Ritalineinnahme noch haben wird, speziell bei Kindern?
Besonders bedenklich auch die folgende Aussage:
Das meiste hängt mit sehr vielen Genen zusammen - und jeder von uns hat 60 bis 100 Neumutationen in seiner Keimbahn, die mit Autismus oder ADHS in Zusammenhang stehen, aber nicht zur Ausprägung der Störung führen müssen.
Das kann man ja nicht anders verstehen als die Behauptung völliger genetischer Determiniertheit der genannten Erscheinungen. Die Umwelt spielt demnach allerhöchstens eine untergeordnete Rolle. Das ist speziell beim Konstrukt ADHS eine äusserst problematische Auffassung. Ich bastle mir eine Pathologie zusammen, d. h. ich definiere ein gewisses Verhalten als pathologisch, eigentlich, wie Tebartz van Elst selbst weiter oben ausführt, aufgrund einer veränderten Umwelt, in der es als störend empfunden wird, taufe die Sache pompös, und behaupte dann die Existenz physiologischer Determinanten, am besten auf genetischer Ebene. Weil ein einzelnes kausales Gen nicht auffindbar ist, schwadroniere ich von 60 oder 100, vielleicht noch viel mehr Genen, die "im Zusammenhang" stünden. Bekanntlich steht im Universum alles mit allem im Zusammenhang...
Anhand Tebartz van Elsts Beschreibungen verstehen zu wollen, worum es sich handelt, ist wie Brot schneiden mit dem Zeigefinger.
Du erwartest allen Ernstes ein Interview mit DER Antwort auf alle Fragen?
Höher hängen geht nimmer, oder?
Tebartz van Elst ist eine der beiden großen Kapazitäten im Thema Asperger/ASS (Autismusspektrumsstörung). Ich habe ihn 2x im Leben getroffen, und er machte wie hier im Interview nix auf Überflieger oder "da schaut her, ich hab DIE Deutung".