Ein klasse Rede-Text, von einem der berühmtesten Physiker, der
gleichzeitig auch ein scharfer Denker war.
Viel Vergnügen, ich muss das hier einfach posten!
mfG, Otho
Max Plank, Vortag vor der Deutschen Philosophischen Gesellschaft,
Ortsgruppe Leipzig, 27.11.1936
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Nicht ohne ernste Bedenken habe ich es unternommen, der freundlichen
und ehrenvollen Einladung Ihres Herrn Vorsitzenden Folge zu leisten
und hier in der Ortsgruppe der Deutschen Philosophischen Gesellschaft
über ein Thema zu sprechen, das ich im Laufe dieses Jahres schon zu
verschiedenen Malen zu behandeln Gelegenheit hatte. Denn da sich
seither an dem Stand des Problems der Willensfreiheit
selbstverständlich nichts geändert hat, so werde ich nicht in der
Lage sein, etwas sachlich Neues über dieses Thema vorzubringen. Und
doch ist in gewisser Hinsicht inzwischen allerlei Neues
hinzugekommen, das sind die verschiedentlichen kritischen Äußerungen
teils zustimmender, teils aber auch ablehnender Art, die ich
bezüglich des Inhalts und der Tragweite der von mir entwickelten
Gedankengänge empfangen habe. Diese Äußerungen sind für mich
selbstverständlich von großem Interesse und haben mir die Anregung zu
einigen weiteren Überlegungen gegeben. Da kann ich eine Gelegenheit
wie die heutige nur dankbar begrüßen, die mir die Möglichkeit gibt,
diese Überlegungen vor einem größeren Kreise zu entwickeln, natürlich
nicht, weil ich damit rechne, meine Herren Kritiker eines Besseren zu
belehren, sondern weil ich hoffe, damit zur weiteren Klärung und
genaueren Abgrenzung der einander entgegenstehenden Meinungen einiges
beitragen zu können. Freilich muß ich ausdrücklich um Ihre Nachsicht
bitten, wenn ich schon früher Gesagtes mit den nämlichen Worten
wiederhole. Das liegt nun einmal in der Natur der Sache. Denn es
handelt sich hier schließlich immer wieder um die nämliche Frage, die
sich wohl jedem nachdenklich veranlagten Menschen gelegentlich
aufdrängt - die Frage, wie das in uns lebende Bewußtsein der
Willensfreiheit, welches aufs engste gepaart ist mit dem Gefühl der
Verantwortlichkeit für unser Tun und Lassen, in Einklang gebracht
werden kann mit unserer Überzeugung von der kausalen Notwendigkeit
allen Geschehens, die uns doch jeder Verantwortung zu entheben
scheint.
Wie schwierig es ist, eine befriedigende Antwort auf diese Frage zu
gewinnen, beweist der Umstand, daß einige namhafte Physiker
gegenwärtig der Meinung sind, man müsse, um die Willensfreiheit zu
retten, das Kausalgesetz zum Opfer bringen, und daher kein Bedenken
tragen, die bekannte Unsicherheitsrelation der Quantenmechanik, als
eine Durchbrechung des Kausalgesetzes, zur Erklärung der
Willensfreiheit heranzuziehen. Wie sich allerdings die Annahme eines
blinden Zufalls mit dem Gefühl der sittlichen Verantwortung
zusammenreimen soll, lassen sie dahingestellt.
Demgegenüber habe ich schon vor mehreren Jahren zu zeigen versucht,
wie man vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus, ohne die
Voraussetzung einer universellen strengen Kausalität preiszugeben,
sehr wohl zu einem Verständnis für die Tatsache der Willensfreiheit
und des sittlichen Verantwortungsgefühls gelangen kann.
Dies des näheren auszuführen, soll der vornehmste Zweck meiner
heutigen Darlegungen sein.
Um für unsere Gedankengänge einen festen Ausgangspunkt zu gewinnen,
beginnen wir mit einer wissenschaftlichen Betrachtung.
Wenn es die Aufgabe der Wissenschaft ist, bei allem Geschehen in der
Natur oder im menschlichen Leben nach gesetzlichen Zusammenhängen zu
suchen, so ist, wie wohl jeder zugeben muß, eine unerläßliche
Voraussetzung dabei, daß ein solcher gesetzlicher Zusammenhang
wirklich besteht und daß er sich in deutliche Worte fassen läßt. In
diesem Sinn sprechen wir auch von der Gültigkeit eines allgemeinen
Kausalgesetzes und von der Determinierung sämtlicher Vorgänge in der
natürlichen und in der geistigen Welt durch dieses Gesetz.
Was heißt nun aber: ein Vorgang, ein Ereignis, eine Handlung erfolgt
mit gesetzlicher Notwendigkeit, ist kausal determiniert? Und wie
stellt man die gesetzliche Notwendigkeit eines Vorganges fest? Ich
wüßte nicht, wie man für die Notwendigkeit eines Vorganges einen
deutlicheren und überzeugenderen Nachweis erbringen kann als dadurch,
daß die Möglichkeit besteht, das Eintreten des betreffenden Vorganges
vorauszusehen. Die Frage nach dem Wesen und nach dem Ursprung der
Kausalität kann dabei ganz offen bleiben. Es genügt uns hier allein
die Feststellung, daß ein Vorgang, welcher mit Sicherheit
vorausgesehen werden kann, irgendwie kausal determiniert ist, und
umgekehrt, daß, wenn man von kausaler Gebundenheit eines Vorganges
redet, dies immer zugleich auch in sich schließt, daß das Eintreten
des Vorganges vorausgesehen werden kann, natürlich nicht von
jedermann, wohl aber von einem Beobachter, der die nötigen Kenntnisse
aller einzelnen Umstände besitzt, die zu Beginn des Vorganges
vorliegen, und der außerdem mit einem hinreichend scharfen Verstande
ausgerüstet ist. Selbstverständlich darf dieser Beobachter nicht
irgendwie aktiv in den Verlauf des Vorganges eingreifen, sondern er
muß seine Voraussage machen können allein auf Grund der ihm bekannten
Tatsachen und Bedingungen, welche den Vorgang auslösen.
Auf die heikle Frage, ob es einen so scharfsinnigen und sich
vollkommen passiv verhaltenden Beobachter in Wirklichkeit stets geben
kann, und wenn ja, wie er sich in jedem Fall die erforderlichen
Kenntnisse verschafft, will ich hier nicht eingehen. Sie würde in
eine besondere Untersuchung des Sinnes und der Gültigkeit des
Kausalgesetzes hineinführen, die für die Behandlung des heutigen
Themas nicht wesentlich ist. Für unseren gegenwärtigen Zweck genügt
es vollkommen, festzustellen, daß die gedankliche Einführung eines
Beobachters von der geschilderten Beschaffenheit weder auf einen
logischen noch auf einen empirischen Widerspruch führt.
Indem wir nun, entsprechend dem Gesagten, das Bestehen eines festen
kausalen Zusammenhanges bei allen Vorgängen in der Natur und in der
Geisteswelt zur Voraussetzung unserer Betrachtung machen, wollen wir
uns im folgenden speziell auf menschliche Willenshandlungen beziehen.
Denn es versteht sich, daß von einer universalen Kausalität nicht die
Rede sein könnte, wenn sie an irgendeiner Stelle durchbrochen würde,
wenn also nicht auch die Vorgänge im bewußten und unterbewußten
Seelenleben, die Gefühle, Empfindungen, Gedanken, und schließlich
auch der Wille dem Kausalgesetz in dem vorhin festgelegten Sinne
unterworfen wären. Wir nehmen also an, daß auch der menschliche Wille
kausal determiniert ist, d. h. daß in jedem Falle, wo jemand in die
Lage kommt, entweder spontan oder auch nach längerer Überlegung einen
bestimmten Willen zu äußern oder eine bestimmte Entscheidung zu
treffen, ein hinreichend scharfsinniger, aber sich vollkommen passiv
verhaltender Beobachter imstande ist, das Verhalten des Betreffenden
vorauszusehen. Wir können uns das so vorstellen, daß vor dem Auge des
erkennenden Beobachters der Wille des Beobachteten zustande kommt
durch das Zusammenwirken einer Anzahl von Motiven oder Trieben, die
in ihm, sei es bewußt oder unbewußt, mit verschiedener Stärke nach
verschiedenen Richtungen sich geltend machen, und die sich zu einem
bestimmten Ergebnis zusammensetzen, ähnlich wie in der Physik
verschiedene Kräfte sich zu einer bestimmten resultierenden Kraft
vereinigen. Freilich ist das wechselseitige Spiel der sich nach allen
Richtungen durchkreuzenden Willensmotive unvergleichlich viel feiner
und verwickelter als das von Naturkräften, und es ist ungeheuer viel
verlangt von der Intelligenz des Beobachters, wenn er imstande sein
soll, alle einzelnen Motive nach ihrer kausalen Bedingtheit zu
erkennen und in ihrer Bedeutung richtig zu würdigen. Ja, wir müssen
zugeben, daß sich unter den tatsächlich lebenden Menschen sicherlich
kein solch feiner Beobachter finden lassen wird. Aber wir haben ja
schon ausdrücklich festgestellt, daß wir an diese Schwierigkeit hier
nicht rühren wollen, da es vollkommen genügt, uns daran zu halten,
daß von logischer Seite die Voraussetzung eines mit beliebig hohem
Scharfsinn begabten Beobachters keinerlei Bedenken unterliegen kann.
In der Tat bildet, wie wohl zu beachten ist, diese Voraussetzung die
Grundlage und den Ausgangspunkt einer jeden wissenschaftlichen
Untersuchung, sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in der
Psychologie; denn ebenso wie der Historiker jedes geschichtliche
Ereignis, jede Willenshandlung einer historischen Persönlichkeit als
gesetzlich bedingt durch deren Eigenart und durch vorliegende
Umstände zu deuten sucht und die zurückbleibenden Lücken niemals
einem Durchbrechen der Kausalität, d. h. dem Zufall, sondern stets
einer mangelnden Einsicht in die tatsächlichen Verhältnisse
zuschreibt, so stellt sich auch der Psychologe bei allen seinen
Versuchen und Beobachtungen nach Möglichkeit auf den Standpunkt des
alles durchschauenden Beobachters, der aber absolut passiv bleiben
muß. Denn jede, auch eine unbeabsichtigte Einflußnahme auf die
Gedankenrichtung des Beobachteten würde den zu erforschenden
Kausalzusammenhang stören und die aus den Beobachtungen gezogenen
Schlüsse fälschen. Ja, allein schon der Umstand, daß die
Versuchsperson davon Kenntnis hat, daß sie beobachtet wird, kann
bekanntlich zu einer verhängnisvollen Fehlerquelle werden.
gleichzeitig auch ein scharfer Denker war.
Viel Vergnügen, ich muss das hier einfach posten!
mfG, Otho
Max Plank, Vortag vor der Deutschen Philosophischen Gesellschaft,
Ortsgruppe Leipzig, 27.11.1936
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Nicht ohne ernste Bedenken habe ich es unternommen, der freundlichen
und ehrenvollen Einladung Ihres Herrn Vorsitzenden Folge zu leisten
und hier in der Ortsgruppe der Deutschen Philosophischen Gesellschaft
über ein Thema zu sprechen, das ich im Laufe dieses Jahres schon zu
verschiedenen Malen zu behandeln Gelegenheit hatte. Denn da sich
seither an dem Stand des Problems der Willensfreiheit
selbstverständlich nichts geändert hat, so werde ich nicht in der
Lage sein, etwas sachlich Neues über dieses Thema vorzubringen. Und
doch ist in gewisser Hinsicht inzwischen allerlei Neues
hinzugekommen, das sind die verschiedentlichen kritischen Äußerungen
teils zustimmender, teils aber auch ablehnender Art, die ich
bezüglich des Inhalts und der Tragweite der von mir entwickelten
Gedankengänge empfangen habe. Diese Äußerungen sind für mich
selbstverständlich von großem Interesse und haben mir die Anregung zu
einigen weiteren Überlegungen gegeben. Da kann ich eine Gelegenheit
wie die heutige nur dankbar begrüßen, die mir die Möglichkeit gibt,
diese Überlegungen vor einem größeren Kreise zu entwickeln, natürlich
nicht, weil ich damit rechne, meine Herren Kritiker eines Besseren zu
belehren, sondern weil ich hoffe, damit zur weiteren Klärung und
genaueren Abgrenzung der einander entgegenstehenden Meinungen einiges
beitragen zu können. Freilich muß ich ausdrücklich um Ihre Nachsicht
bitten, wenn ich schon früher Gesagtes mit den nämlichen Worten
wiederhole. Das liegt nun einmal in der Natur der Sache. Denn es
handelt sich hier schließlich immer wieder um die nämliche Frage, die
sich wohl jedem nachdenklich veranlagten Menschen gelegentlich
aufdrängt - die Frage, wie das in uns lebende Bewußtsein der
Willensfreiheit, welches aufs engste gepaart ist mit dem Gefühl der
Verantwortlichkeit für unser Tun und Lassen, in Einklang gebracht
werden kann mit unserer Überzeugung von der kausalen Notwendigkeit
allen Geschehens, die uns doch jeder Verantwortung zu entheben
scheint.
Wie schwierig es ist, eine befriedigende Antwort auf diese Frage zu
gewinnen, beweist der Umstand, daß einige namhafte Physiker
gegenwärtig der Meinung sind, man müsse, um die Willensfreiheit zu
retten, das Kausalgesetz zum Opfer bringen, und daher kein Bedenken
tragen, die bekannte Unsicherheitsrelation der Quantenmechanik, als
eine Durchbrechung des Kausalgesetzes, zur Erklärung der
Willensfreiheit heranzuziehen. Wie sich allerdings die Annahme eines
blinden Zufalls mit dem Gefühl der sittlichen Verantwortung
zusammenreimen soll, lassen sie dahingestellt.
Demgegenüber habe ich schon vor mehreren Jahren zu zeigen versucht,
wie man vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus, ohne die
Voraussetzung einer universellen strengen Kausalität preiszugeben,
sehr wohl zu einem Verständnis für die Tatsache der Willensfreiheit
und des sittlichen Verantwortungsgefühls gelangen kann.
Dies des näheren auszuführen, soll der vornehmste Zweck meiner
heutigen Darlegungen sein.
Um für unsere Gedankengänge einen festen Ausgangspunkt zu gewinnen,
beginnen wir mit einer wissenschaftlichen Betrachtung.
Wenn es die Aufgabe der Wissenschaft ist, bei allem Geschehen in der
Natur oder im menschlichen Leben nach gesetzlichen Zusammenhängen zu
suchen, so ist, wie wohl jeder zugeben muß, eine unerläßliche
Voraussetzung dabei, daß ein solcher gesetzlicher Zusammenhang
wirklich besteht und daß er sich in deutliche Worte fassen läßt. In
diesem Sinn sprechen wir auch von der Gültigkeit eines allgemeinen
Kausalgesetzes und von der Determinierung sämtlicher Vorgänge in der
natürlichen und in der geistigen Welt durch dieses Gesetz.
Was heißt nun aber: ein Vorgang, ein Ereignis, eine Handlung erfolgt
mit gesetzlicher Notwendigkeit, ist kausal determiniert? Und wie
stellt man die gesetzliche Notwendigkeit eines Vorganges fest? Ich
wüßte nicht, wie man für die Notwendigkeit eines Vorganges einen
deutlicheren und überzeugenderen Nachweis erbringen kann als dadurch,
daß die Möglichkeit besteht, das Eintreten des betreffenden Vorganges
vorauszusehen. Die Frage nach dem Wesen und nach dem Ursprung der
Kausalität kann dabei ganz offen bleiben. Es genügt uns hier allein
die Feststellung, daß ein Vorgang, welcher mit Sicherheit
vorausgesehen werden kann, irgendwie kausal determiniert ist, und
umgekehrt, daß, wenn man von kausaler Gebundenheit eines Vorganges
redet, dies immer zugleich auch in sich schließt, daß das Eintreten
des Vorganges vorausgesehen werden kann, natürlich nicht von
jedermann, wohl aber von einem Beobachter, der die nötigen Kenntnisse
aller einzelnen Umstände besitzt, die zu Beginn des Vorganges
vorliegen, und der außerdem mit einem hinreichend scharfen Verstande
ausgerüstet ist. Selbstverständlich darf dieser Beobachter nicht
irgendwie aktiv in den Verlauf des Vorganges eingreifen, sondern er
muß seine Voraussage machen können allein auf Grund der ihm bekannten
Tatsachen und Bedingungen, welche den Vorgang auslösen.
Auf die heikle Frage, ob es einen so scharfsinnigen und sich
vollkommen passiv verhaltenden Beobachter in Wirklichkeit stets geben
kann, und wenn ja, wie er sich in jedem Fall die erforderlichen
Kenntnisse verschafft, will ich hier nicht eingehen. Sie würde in
eine besondere Untersuchung des Sinnes und der Gültigkeit des
Kausalgesetzes hineinführen, die für die Behandlung des heutigen
Themas nicht wesentlich ist. Für unseren gegenwärtigen Zweck genügt
es vollkommen, festzustellen, daß die gedankliche Einführung eines
Beobachters von der geschilderten Beschaffenheit weder auf einen
logischen noch auf einen empirischen Widerspruch führt.
Indem wir nun, entsprechend dem Gesagten, das Bestehen eines festen
kausalen Zusammenhanges bei allen Vorgängen in der Natur und in der
Geisteswelt zur Voraussetzung unserer Betrachtung machen, wollen wir
uns im folgenden speziell auf menschliche Willenshandlungen beziehen.
Denn es versteht sich, daß von einer universalen Kausalität nicht die
Rede sein könnte, wenn sie an irgendeiner Stelle durchbrochen würde,
wenn also nicht auch die Vorgänge im bewußten und unterbewußten
Seelenleben, die Gefühle, Empfindungen, Gedanken, und schließlich
auch der Wille dem Kausalgesetz in dem vorhin festgelegten Sinne
unterworfen wären. Wir nehmen also an, daß auch der menschliche Wille
kausal determiniert ist, d. h. daß in jedem Falle, wo jemand in die
Lage kommt, entweder spontan oder auch nach längerer Überlegung einen
bestimmten Willen zu äußern oder eine bestimmte Entscheidung zu
treffen, ein hinreichend scharfsinniger, aber sich vollkommen passiv
verhaltender Beobachter imstande ist, das Verhalten des Betreffenden
vorauszusehen. Wir können uns das so vorstellen, daß vor dem Auge des
erkennenden Beobachters der Wille des Beobachteten zustande kommt
durch das Zusammenwirken einer Anzahl von Motiven oder Trieben, die
in ihm, sei es bewußt oder unbewußt, mit verschiedener Stärke nach
verschiedenen Richtungen sich geltend machen, und die sich zu einem
bestimmten Ergebnis zusammensetzen, ähnlich wie in der Physik
verschiedene Kräfte sich zu einer bestimmten resultierenden Kraft
vereinigen. Freilich ist das wechselseitige Spiel der sich nach allen
Richtungen durchkreuzenden Willensmotive unvergleichlich viel feiner
und verwickelter als das von Naturkräften, und es ist ungeheuer viel
verlangt von der Intelligenz des Beobachters, wenn er imstande sein
soll, alle einzelnen Motive nach ihrer kausalen Bedingtheit zu
erkennen und in ihrer Bedeutung richtig zu würdigen. Ja, wir müssen
zugeben, daß sich unter den tatsächlich lebenden Menschen sicherlich
kein solch feiner Beobachter finden lassen wird. Aber wir haben ja
schon ausdrücklich festgestellt, daß wir an diese Schwierigkeit hier
nicht rühren wollen, da es vollkommen genügt, uns daran zu halten,
daß von logischer Seite die Voraussetzung eines mit beliebig hohem
Scharfsinn begabten Beobachters keinerlei Bedenken unterliegen kann.
In der Tat bildet, wie wohl zu beachten ist, diese Voraussetzung die
Grundlage und den Ausgangspunkt einer jeden wissenschaftlichen
Untersuchung, sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in der
Psychologie; denn ebenso wie der Historiker jedes geschichtliche
Ereignis, jede Willenshandlung einer historischen Persönlichkeit als
gesetzlich bedingt durch deren Eigenart und durch vorliegende
Umstände zu deuten sucht und die zurückbleibenden Lücken niemals
einem Durchbrechen der Kausalität, d. h. dem Zufall, sondern stets
einer mangelnden Einsicht in die tatsächlichen Verhältnisse
zuschreibt, so stellt sich auch der Psychologe bei allen seinen
Versuchen und Beobachtungen nach Möglichkeit auf den Standpunkt des
alles durchschauenden Beobachters, der aber absolut passiv bleiben
muß. Denn jede, auch eine unbeabsichtigte Einflußnahme auf die
Gedankenrichtung des Beobachteten würde den zu erforschenden
Kausalzusammenhang stören und die aus den Beobachtungen gezogenen
Schlüsse fälschen. Ja, allein schon der Umstand, daß die
Versuchsperson davon Kenntnis hat, daß sie beobachtet wird, kann
bekanntlich zu einer verhängnisvollen Fehlerquelle werden.