Zahlen helfen schrieb am 20.04.2021 19:32:
Ok, das ist ja schon mal ein Versuch. Ihr Argument lautet also in der Kurzfassung: die Maßnahmen mit ihren Konsequenzen sind angemessen, die negativen Konsequenzen (die Kinder sind ja nur ein kleiner Ausschnitt davon) sind gerechtfertigt.
Nein, in der Kurzfassung lautet mein Argument, daß es nicht ohne Schäden abgehen wird, egal, was wir tun. Mit den aktuellen Maßnahmen bin ich nicht einverstanden. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es am Beginn der ersten Welle einen Plan gegeben, wie wir am schnellsten das umsetzen, was schon in Taiwan und anderswo nachweislich funktioniert hatte. Die halbherzigen Maßnahmen mit dem viel zu frühen Ausstieg hier sorgen nur dafür, die Epidemie zu verlängern. Wollen wir wetten, daß in den nächsten Wochen in den paar Bundesländern, die gerade gelockert haben, die Zahlen wieder über irgendeine magische Grenze steigen? Oder in der Schweiz?
Dieses Argument macht natürlich nur dann Sinn, wenn Sie auch argumentieren können, dass die Anti-Corona-Maßnahmen Schlimmeres verhindert haben und zwar in einem Ausmaß, das angemessen ist zum Ausmaß der angerichteten Schäden.
Wie können wir abschätzen, was an Schlimmerem verhindert wurde? Es hilft uns herzlich wenig, wenn wir all die Prognosen zu Millionen von Toten und zusammen gebrochenen Gesundheitssystemen, die im letzten Jahr veröffentlicht wurden, als Maßstab nehmen, weil das halt nur Prognosen waren, deren wissenschaftliche Grundlage in vielen Fällen gut belegbar sehr dünn oder völlig nicht existent war. Insbesondere dann, wenn man die Prognosen für Länder der 3. Welt, die über kein funktionierendes Gesundheitssystem verfügen, und in denen die Menschen wie Fliegen hätten sterben sollen, mit der Realität vergleicht, dann weiß man, was man von Prognosen zu halten hat.
Was konkret wurde also an Schlimmerem verhindert?
Geh doch mal auf den Covid-Simulator der Uni des Saarlandes, da kannst du ausprobieren, was passiert, wenn wir jetzt einfach alles laufenlassen.
https://shiny.covid-simulator.com/covidsim/
Das Ding ist ein bißchen unübersichtlich, du mußt erst das Datum auf den spätestmöglichen Wert stellen (1. September, glaube ich) und dann am Schieberegler ein zusätzliches neues R einstellen. Anschließend kannst du in den Diagrammen darunter einzelne Kurven wählen/abwählen. Aber der Simulator bildet den bisherigen Verlauf sehr gut ab, man kann also davon ausgehen, daß er nicht vollkommen daneben liegt. Versuche mal ein paar verschiedene R, bis hin zu 4, für "britische Variante ohne jede Gegenmaßnahme".*
Als weiteres Argument hier mal wieder eins meiner allseits beliebten Bilder:
https://www.dropbox.com/s/tomtu68vfi9fcul/DE_t%C3%A4gliche_Tote_2021_04_21.png?dl=0
Die schwarze Kurve zeigt die prozentuale Änderung der Zahl der Covid-Toten von einem Tag auf den anderen (mit heftigem gleitenden Mittel). Wie du siehst, korrespondiert das sehr gut mit den Daten der Maßnahmen, die ich aus der Wikipedia habe. Es war spätestens im Spätsommer klar, daß eine zweite Welle droht, Anfang September mußte man wissen, daß sie kommt.
Der tiefste Punkt am Beginn des letzten Anstiegs ist der 17. Februar, man kann also auch schon eine ganze Weile wissen, daß die britische Variante das Ruder übernimmt. Wenigstens sehen die aktuellsten Zahlen im Moment so aus, als würde die Kurve nicht ungebremst weiter beschleunigen. Mit einem konstanten Wert über Null wächst die Zahl der Toten "nur" exponentiell.
*) EDIT: Die 4 ist ein rein theoretischer Wert, für den es keinerlei Maßnahmen gegen die Ausbreitung geben dürfte, nicht einmal schwer Erkrankte würden auf die Isolierstation kommen. Der aktuelle Wert für R (mit den derzeitigen Maßnahmen) liegt nach meiner Rechnung ungefähr bei 1,1.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (21.04.2021 08:10).