Die Regierung(en) der USA hat (haben) bei völkerrechtswidrigen Aktionen sehr wohl Interesse daran, wenn es irgendwie möglich ist, Mittäter zu haben. Exemplarisch dafür war die zusammengetrommelte "Koalition der Willigen" beim völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak (Frühjahr 2003). Das hat vorrangig ideologische Gründe (Stichworte: Legitimation vor der Welt, Verteilung von Verantwortung/Schuld der geplanten Zerstörungen auf mehrere Staaten), nachrangig aber auch finanzielle Gründe.
Konkret ist zu fragen (siehe Hershs Erzählung zum Anschlag auf Nord-Stream), ob die USA tatsächlich in Europa eine solche Aktion wie die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines durchführen würden, also nicht etwa in Weltregionen wie dem Nahen Osten oder dem mittel- und südamerikanischen Hinterland oder Teilen Asiens, in denen die strategischen und geopolitischen Verwicklungen für die USA händelbar sind, während die Wegsprengung der deutsch-russischen Gaspipeline unmittelbar und allein von den USA trotz deutscher Treue zu den USA und zur NATO doch eher problematisch erscheint.
Schaut man sich die Anrainerstaaten der Ostsee an, in der die Pipelines gesprengt wurden - Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, Estland, Lettland, Litauen und Polen - fällt für die USA das NATO-Mitglied Deutschland als Mittäter aus, weil Deutschland Hauptnutznießer von Nord-Stream I war und von Nord-Stream II geworden wäre. Dänemark als etabliertes NATO-Mitglied dürfte kaum Interesse an der Aktion gehabt haben, auch wegen der alten EU-Partnerschaft mit Deutschland. Schweden und Finnland aber als NATO-Anwärter (nach russischem Überfall auf die Ukraine) und noch mehr die osteuropäischen Jung-NATO-Mitglieder Estland, Lettland, Litauen und Polen mit ihrer (vorsichtig formuliert) problematischen Geschichte mit Russland (wie allerdings auch Finnland) könnten als willige Mittäter in Frage kommen (Russland selbstverständlich nicht).
Sollten also die USA (siehe Hersh) mit "Willigen" zusammen diese Aktion geplant und durchgeführt haben, sind Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen die naheliegendsten Bündnispartner, auch weil sie noch nicht so lange in der EU sind und vor allem die baltischen Staaten und Polen erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die NATO- und EU-Mitgliedschaft anstreben konnten und erreichten.
Betrachtet man die gegenüber Deutschland kritischen Interessen innerhalb der EU, den historischen Hintergrund (v.a. WKII), die Befürchtungen gegenüber Russland und die staatlich-organisatorische Macht, die einen Coup zusammen mit den USA möglich erscheinen lassen, dürfte Polen bzw. die polnische Regierung prädestiniert sein, mit den USA zusammen die Sprengung vorgenommen zu haben.
Aber, ist das tatsächlich realistisch?
Wenn es so oder so ähnlich gewesen sein sollte, dann ist nicht nur durch den russischen Angriff auf die Ukraine, sondern bündnispolitisch noch gewichtiger der westliche Teil der Weltordnung und vielleicht auch die gesamte Weltordnung völlig zusammengebrochen. Dann wäre die Weltordnung nicht mehr im Übergang zum, sondern verwirklichtes Verbrechertum.
Ist das so?