Ansicht umschalten
Avatar von
  • unbekannter Benutzer

20 Beiträge seit 29.07.2000

Warum das fehlt

---------------------- schnipp -----------------------
Leider wurden in dem offenen Brief einige Kernpunkte wieder einmal
nicht angesprochen.

Nämlich u.a. der Aspekt der Fernmeldeüberwachung des kompletten
Fernmeldeverkehrs aller Bürger per Internet zum Zwecke der "Sperrung"
a la Büssow.
---------------------- schnapp -----------------------

Auch ich halte das für maßlos und auf keinen Fall für
verhältnismässig. Allerdings wollte ich nicht mit Verhältnismäßigkeit
argumentieren, weil meines Erachtens Grundrechte verletzt werden, und
zwar ohne, dass dies zulässig ist.

Die BezReg beruft sich (wie auch Dr. Fischer) auf den Zusatz in Art.
5 (2) GG: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der
allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der
Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."

Bis hierher finde ich es ja noch nachvollziehbar. Nun sagt aber Art.
19 (2) GG: "In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem
Wesensgehalt angetastet werden.". Und Art. 29 (2): "Alle Staatsgewalt
geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und
der Rechtsprechung ausgeübt."

Darin sehe ich das Problem. Ein Gesetz, das die Einschränkung nach
Art. 5 (2) definiert, darf IMHO nicht gegen diese beiden Grundrechte
verstoßen.

Damit geregelt ist, wie zu verfahren ist, wenn Grundrechte
kollidieren, gibt es AFAIK zwei Grundsätze:

- den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
- den Grundsatz, dass Grundrechte überhaupt nur dann angetastet
werden, wenn entweder die Ausübung dieser Grundrechte die Grundrechte
Dritter berührt, oder aber wenn der Staat oder die FGO in Gefahr
sind. Alle Einschränkungen, die ich sonst im GG sehe, sind dieser
Natur.

Ich sehe in der Netzzensur nach BezReg keinen dieser Grundsätze
erfüllt. Ich sehe die Massnahmen wie Du als unverhältnismässig an.
Zudem sehe ich aber, dass Grundrechte Unbeteiligter berührt werden,
ohne dass dadurch die Grundrechte Dritter überhaupt geschützt, ja
nicht einmal berührt werden.

Evtl. werden sogar kontraproduktiv Radikale unterstützt, weil die
Bürger nicht mehr mit der Notwendigkeit konfrontiert werden,
Radikalismus zu bekämpfen, wenn man wie die BezReg es hier fordert
die strafbaren Inhalte veröffentlicht lässt und nur die Augen der
Bürger vor dem Problem zuhält. Denn es ist davon auszugehen, dass die
Leute, die diese Inhalte akiv suchen, sicher einen Weg vorbei an den
Zensurmassnahmen finden.

Will sagen: Wenn man z.B. Leute belangt, die die Ausschwitzlüge
verbreiten, und wenn man außerdem Leute belangt, die Schriften
verbreiten (ohne sich den Inhalt zu eigen zu machen), in denen andere
Leute die Ausschwitzlüge verbreiten, dann kann ich das alles
nachvollziehen, denn es werden ja die Grundrechte der Leute damit
geschützt, die von der Ausschwitzlüge geschädigt werden.

Soweit so gut, so lässt sich die Einschränkung der Meinungsfreiheit
begründen. Wie sieht's aber mit der Einschränkung der
Informationsfreiheit aus?

Einen wichtigen Schritt erkenne ich da im Brief von Herrn Dr.
Fischer. Er führt nämlich an, dass auch die Informationsfreiheit nach
Art. 5 (2) GG beschränkt ist. Insofern lässt er sich glücklicherweise
auf die Diskussion um Informationsfreiheit ein, statt wie die BezReg
technisch falsch herumzulavieren, um die Verletzung des Grundrechts
auf Informationsfreiheit wegzudiskutieren.

Nun frage ich aber: inwiefern lässt sich denn die
Informationsfreiheit überhaupt beschränken? Will sagen: welche
Grundrechte Dritter berühre ich, wenn ich passiv rezipiere? Ich kann
gar keine erkennen. Wie gefährde ich Staat oder FGO, indem ich passiv
wahrnehme? Gar nicht. Die Beschränkung der Informationsfreiheit
widerspricht somit dem Rechtsgrundsatz, dass Grundrechte nur dann
eingeschränkt werden, wenn die Grundrechte Dritter berührt sind oder
aber der Staat oder die FGO durch die Ausübung des Grundrechtes, das
beschränkt werden soll, gefährdet.

Man kann (und muss IMHO) noch weitergehen:

Die Massnahmen, die Büssow vorschlägt, sorgen allesamt dafür, dass
ein Organ der Exekutive bestimmt, was von bereits vorhandener
Veröffentlichung ein Nutzer sehen darf.

Wenn aber die Exekutive bestimmen kann, was der Bürger von der Welt
sieht, wie soll dann der Bürger seiner Aufgabe nach Art. 29 (2)
nachgehen? Wie soll er denn wählen, wenn vorher die, die gewählt
werden, bestimmen, was der Bürger von der Welt sieht?

Er muss dann aufgrund dieser eingeschränkten Sicht entscheiden.

Unterstellt man, dass alle Personen in der Exekutive grundsätzlich
gutmeinend handeln, so wird kein Problem bestehen. Das meinte
Riesenbeck wohl, als er mich auf der Demo darauf hinwies, ich solle
doch mehr Vertrauen in die Stabilität unseres Staates haben. Nur:
wenn ich von einer grundsätzlich gutmeinenden Exekutive ausgehe, dann
brauche ich gar keine Demokratie.

Idee an jeder Demokratie ist doch, über ein Spiel der Kräfte (amerik.
"balance of powers") und Kontrolle durch den Bürger zu gewährleisten,
dass der Staatsapparat wie z.B. die Exekutive sich ordentlich
verhält.

Will sagen, die Rechtsordnung ist in einer Demokratie so zu
gestalten, dass die Kontrolle des Staates durch den Bürger in jedem
Falle aufrecht erhalten werden kann, auch dann, wenn nicht
ausschliesslich wohlmeinende Personen Ämter innehaben.

Mit Massnahmen, wie die BezReg sie vorschlägt, kann eine nicht
wohlmeinende Exekutive aber beginnen, das Medium Internet
gleichzuschalten und alles auszublenden, was ihr unangenehm ist, um
z.B. Verfehlungen zu verschleiern. So wird die Exekutive evtl. über
eine Wahl der Legislative wieder eingesetzt, obwohl bei vollständigem
Informationsstand sicher anders gewählt worden wäre.

Eine Kontrolle, ob die Exekutive wirklich nur strafbewehrte Inhalte
ausblendet, ist nämlich nicht vorgesehen. Und auch strafbewehrte
Inhalte können sehr viel Wahlbeeinflussendes aussagen, man denke doch
nur mal an strafbewehrte Inhalte, die von der Person, die in der
Exekutive sperrt, selbst eingestellt wurden.

Somit kann eine solche theoretische Person sich selber der
Strafverfolgung entziehen.

Willkür sind Tür und Tor geöffnet.

Deshalb stelle ich die Frage: Meinungsfreiheit, auch Pressefreiheit
können beschränkt werden, wie und warum ist klar.

Aber wie genau sieht ein Beispiel aus für eine Beschränkung der
Rezipientenfreiheit, das nicht gegen Verfassungsgrundsätze verstößt?
Ich sehe keines, insbesondere nicht das Vorgehen laut BezReg. Das
meinte ich mit "höchst bedenklich".

Ich denke, es gibt einen guten Grund, warum bisher nur die "alten
Bekannten" Netzzensur üben - nur diese ignorieren demokratische
Grundsätze.

VB.
Bewerten
- +
Ansicht umschalten