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  • denkbar

mehr als 1000 Beiträge seit 30.08.2008

Gerechtigkeit ist wenn es sie nicht gibt

Der Begriff Gerechtigkeit hat immer die implizite Annahme, daß a)
alle Menschen gleich seien und b) Ungleichgewichte zwischen den
Menschen existieren,
woraus natürlich folgt, daß diese Ungleichgewichte problematisch
sind, denn alle sind ja gleich. Die Vorstellung einer allgemeinen
Gerechtigkeit ist daher tendenziell stets kommunistisch. 

Die alten Gerechtigkeitstheoretiker wie Aristoteles vermieden viele
Probleme diesbezüglich schlicht dadurch, daß, wenn sie von "Menschen"
reden, eben nicht alle Menschen meinen: Sklaven und Frauen kommen in
ihren Konzeptionen gar nicht vor, Menschen und Material als rechtlose
Kriegsbeute zu aquirieren ist völlig gerecht. Die aristotelischen
Modelle der distributiven, kommutativen und deliberativen G. sind
wahnsinnig spannend zu lesen, danach kann man auch durchaus einen
antiken Patrizier-Stadtstaat mit demokratischen Elementen
organisieren, auch wenn Aristoteles selbst von Demokratie nicht viel
hält.
Aber das hat natürlich nichts mit allgemeiner Gerechtigkeit zu tun,
im Grunde beschreibt Aristoteles eine Elitengerechtigkeit.

Die Aufklärung bringt nun die Idee in die Welt, alle Menschen seien
irgendwie gleich und hätten daher irgendwie einen Anspruch auf
Gerechtigkeit: Der Kreis der Gerechtigkeits-Berechtigten steigt stark
an: Sklaven gehören bald dazu, dann Frauen, selbst Kinder, religiöse
Minderheiten wie die Juden kriegen gleiche Rechte wie die anderen,
auch Hottentotten und Neger werden vom biologisch benachteiligten
Untermenschen (und damit natürlich Rechtlosen) zum Menschen mit
Gerechtigkeitsanspruch hochgestuft. Selbst für Antigerechtler (also
Verbrecher) die früher als vogelfrei nur noch in gerechtigkeitsfreien
Räumen herumturnten, wird jetzt ein Anspruch auf Gerechtigkeit
attestiert.

Heute muß man entweder sehr jung sein (Kind) oder völlig
durchgeknallt (Fall für die Klappse oder Totaldemenz) bevor man von
unserer gerechtigkeitsgeilen Gesellschaft wenigstens mal ein paar
Rechte aberkannt bekommt. 

Nun ist es allerdings so, daß Güter, die jedermann hat, nix wert
sind. Hat jedermann Anspruch auf Gerechtigkeit, so sinkt der Wert des
Gutes Gerechtigkeit massiv ab. Wertvoll sind knappe Güter, nicht
solche die jeder hat.
Eine Banane war im 19. Jhd. Ausdruck des Reichtums, denn Bananen
waren sehr teuer. Heute kann sich selbst der Pöbel Bananen leisten,
damit ist eine Banane natürlich auch nicht mehr richtig interessant.
Genauso ist das mit der Gerechtigkeit. Am Imposantesten zeigt sich
das beim Wahl- und Stimmrecht.
Der Patrizier im antiken Stadtstaat mit seinem Stimmrecht war ein
geachter Mann. Weil nicht jeder stimmen durfte, war die Stimme
wertvoll. Heute darf jeder HartzIV-Empfänger, dürfen Frauen und auch
schon Ausländer wählen.
Wahlgerechtigkeit wurde ausgedehnt, damit sank der Wert der Stimme
ins Bodenlose. Gerade das Mehr an Gerechtigkeit senkte den Wert des
Gutes Gerechtigkeit.

Kein geistig gesunder Mensch versucht heute, mit seiner Stimme
Einfluß zu nehmen. Es ist längst bewiesen, daß dies nicht möglich
ist. Irgendwo ja auch evident: Ich kann soviel über Politik wissen
wie ich will, meine Stimme zählt deswegen nicht mehr als die von
einem enthirnten Dummbrot. Daher ist Wählen für mich völlig
irrational, ich würde mich damit ja mit verblödeten Idioten auf eine
Stufe stellen. Ob ich 1000 Euro oder einen 1 Euro habe: Auch hier
zählt jede Stimme gleich viel. Da also die Stimme die
Potentialdifferenz zwischen 1000 und 1 Euro nicht adäquat
wiederspiegelt, ist es für Reiche völlig sinnlos zu wählen.

Weil das so ist, weil sich Gerechtigkeit durch Ausdehnung inflationär
entwertet, bevorzugt der Mensch explizit gerechtigkeitsfreie Räume,
denn da hat er zwar keinen Anspruch, sehr wohl aber Chancen. Der
freie Markt ist natürich keinesfalls im Kant'schen oder
kommunistischen Sinne gerecht: Der Witz besteht ja garade darin, daß
der Markt nicht gerecht ist, daß dort eben nicht gerechte
Gleichmacherei herrscht, sondern die Möglichkeit, MEHR zu haben als
andere.

An Gerechtigkeit und der damit impliziten allgemeinen Gleichheit hat
kein Mensch ein erweitertes Interesse. Bis auf fanatische
Überzeugungstäter will niemand Gerechtigkeit. Und 99% der
Gerechtigkeitsforderer wollen nicht deswegen mehr Gerechtigkeit, weil
sie das per se für eine gute Sache hielten, der sie sich auch selbst
unterwerfen würden, sondern nur aus persönlichem Vorteil: Für einen
Sklaven oder einen Politiker ist es rational, mehr Gerechtigkeit zu
fordern: Der Sklave hätte durch mehr Gerechtigkeit einen geldwerten
Zugewinn, der Politiker verdient sowieso permanent sein Geld damit,
Gerechtigkeit für X oder Y zu fordern. 

Wie es Gabriel Laub einmal so schön sagte: "Der Sklave will nicht
frei sein. Er will Sklavenaufseher sein."

Das generalisiere ich mal ganz keck, streiche "Sklave" aus dem obigen
Satz und setze dafür: "Mensch".

Wie man sieht: Die Gerechtigkeit ist eine Chimäre, sie frißt sich
selbst, sie entwertet sich selbst.

Viel Spaß noch mit diesem untauglichen Konzept. Wer schlau ist, hält
sich nicht daran.

so far, denkbar


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