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  • Artur_B

mehr als 1000 Beiträge seit 09.09.2004

Halt das Übliche

denkbar schrieb am 18. Januar 2009 04:14


> Weil das so ist, weil sich Gerechtigkeit durch Ausdehnung inflationär
> entwertet, bevorzugt der Mensch explizit gerechtigkeitsfreie Räume,
> denn da hat er zwar keinen Anspruch, sehr wohl aber Chancen. Der
> freie Markt ist natürich keinesfalls im Kant'schen oder
> kommunistischen Sinne gerecht: Der Witz besteht ja garade darin, daß
> der Markt nicht gerecht ist, daß dort eben nicht gerechte
> Gleichmacherei herrscht, sondern die Möglichkeit, MEHR zu haben als
> andere.


Ah ja. Dass Du das aber überhaupt darfst, Dir einen
gerechtigkeitsfreien Raum zu suchen, das hast Du der Französischen
Revolution zu verdanken, welche, erste Kratzer in Deiner
Argumentation nach sich ziehend, unter der Parole Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit stand. Falls Dein Beitrag nicht als Satire
gedacht war, so ist er doch eine sehr gelungene Zusammernfassung der
heutigen Unkenntnis darüber, wie es die Menschheit geschafft hat,
nicht mehr auf den Bäumen zu sitzen. Mit Verlaub.

Dass nun alle politischen Lager mit dem Begriff "Gerchtigkeit"
hantieren, lässt sich ziemlich eindeutig auf die Erfahrung des
Manchestertums zurückführen: hier waren Ausmaße an Degeneration und
Resignation zu beobachten, welche nun in Folge eine absolute
Einigkeit bewirkten, dass sich das nicht mehr wiederholen darf. Bis
hin zum radikalen Gegenentwurf des Kommunismus, der tatsächlich alle
Lebensrisiken seine Werktätigen abzufangen trachtete, was heute aus
bekannten Gründen wieder abgelehnt wird.

Es ist doch ganz einfach: auch die herrschende Klasse hat ein
Interesse an Gerechtigkeit, denn sie möchte ihren Mehrwert möglichst
geräuschlos einstreichen, nicht behindert durch Streiks und Revolten
und auch nicht durch solche Vögel wie die Krays im Londoner Eastend,
über die wir im anderen Artikel heute eindrucksvoll unterrichtet
werden. Außerdem erfordern moderne, hochtechnisierte Gesellschaften
hochqualifiziertes Personal, welches sich durch elitären
Bildungszugang eben nicht erreichen lässt. Dem Einzelnen nun
beizubringen, er hätte Anspruch auf Gerechtigkeit, war kein Akt der
Menschenfreundlichkeit, er war schlicht und einfach praktisch. Dass
sich darum nun Einiges an Poesie rankt, ist zwar erbaulich, aber in
Worten von Marx "idealistisch": den eigentlichen Zweck verkennend.

Die westliche Ausprägung des Gerechtigkeitbegriffs ist wohl durch
Jahn Maynard Keynes stellvertretend formuliert worden, welcher grob
gesprochen, die 50 Jashre nach dem WK II geprägt hat. Der Einzelne
hat Anspruch auf Gerechtigkeit, muss dafür allerdings etwas tun. Die
Gerchtigkeit muss erzwungen werden und das bewerkstelligen Verbände
und Parteien, in denen man sich einzufinden hat. Finden heute alle
schäbig und wenig attraktiv, ich weiß, alle politischen Lager finden
ein Haar in der Keynes-Suppe. Keynes als Hochspringer hat ungefähr
einen Meter geschafft, nicht berauschend mithin. Aber: alle anderen
haben doch höchstens 20 Zentimeter geschafft, denn niemals in der
bekannten Geschichte gab es mehr an Freiheit, Wohlstand und
Demokratie als zu dieser Zeit. Für alle.  Und damit auch:
Gerechtigkeit.

Dann kamen die Neoliberalen und haben alle Ansprüche auf
Gerechtigkeit über den Haufen geworfen: der offensichtliche Bruch mit
dem Anspruch auf bisher für sicher geglaubten Entitäten der
Gerechtigkeit ist geradezu ihr Markenzeichen. Gewollt von der
Mehrheit war dies nie, ihr Vorgehen wurde als Erpressung empfunden,
gegen das im Moment keine Gegenwehr möglich war. Man musste eben
warten, bis ihr Wahnsinns-System krachend gegen die Wand fährt und
diesen Gefallen tut es uns derzeit in beeindruckender Weise. Die
Reaktioon wird sein: der Anspruch auf Gerechtigkeit wird wieder
zunehmen, wie jetzt schon deutlich in den Diskursen und an der
Reaktion der Politik zu bemerken ist. Wir leben diesbezüglich schon
in einer ganz anderen Welt als noch im September vergangenen Jahres.
Das kannst weder Du noch ich aufhalten, das ist nun eimal eine
Eigengesetzlichkeit der Neuzeit. Und keine schlechte, wie ich mit zu
bemerken erlaube.  

Gruß Artur


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