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Freiheit

denkbar schrieb am 18. Januar 2009 20:46

> Freiheit ist unmöglich. Frei bist Du dann, wenn ich Dich als Säugling
> nackt aussetze und Du Deinen Lebensweg allein gehen mußt: Binnen
> weniger Stunden bist Du tot, weil Du wahlweise verhungert, verdurstet
> oder vom Löwen gefressen worden bist. That's freedom. Das Überleben
> des Menschen (und auch der allermeisten Tiere!) ist an lange Phasen
> der Unfreiheit gekettet, nämlich der Aufzuchtphase. Diese beträgt
> beim Menschen mitlerweile fast 30 Jahre, bis zum Abschluß eines
> Studiums beispielsweise: Permanente Unfreiheit, permanente
> Regulierung.

Du hast einen negativen Freiheitsbegriff: Freiheit von, nicht
Freiheit zu. Deine Freiheit ist sowas wie "frei von Läusen" oder
sowas.

Freiheit, die ich meine, ist die Freiheit, sich zu entfalten, die
Freiheit zu handeln. Und was diese zunehmende Unfreiheit während der
"Aufzuchtphase" angeht: Das halte ich für eine Fehlentwicklung dieser
Zivilisation, eigentlich sollte der Mensch mit 15 oder spätestens 16
soweit sein, daß jeder für sich selbst entscheiden kann. 

> Spätestens wenn Du Zahnweh hast, ist sowieso mit der Freiheit vorbei.
> Selbst wenn Du selbst Zahnarzt sein solltest: Denn du brauchst
> trotzdem einen zweiten Zahnarzt, der Dich behandelt. Und sobald Du in
> irgendeiner Form auf irgendeinen anderen angewiesen bist, gibt es
> keine Freiheit mehr, dann mußt Du in irgendeiner Form kooperieren.
> Und das schränkt selbstverständlich Deine Freiheit ein. Dem Zahnarzt
> geben wir heute Geldstücke damit er uns behandelt. Wir sind ihm
> ausgeliefert, aber nicht so ganz: Dadurch, daß wir Zahnärzte in
> Konkurrenz zueinander stellen, minimieren wir ihre Macht über uns,
> und erhalten so ein paar Freiheitsgrade zurück.

Kooperation ist keine Einschränkung der Freiheit, solange sie
freiwillig und auf Augenhöhe geschieht. Selbstverständlich kooperiere
ich mit anderen Menschen - es gibt vieles, was man tun will, wofür
man aber nicht die nötige Kraft oder die nötigen Ressourcen hat. Wenn
man Kraft und Ressourcen bündelt, kann man gemeinsame Ziele
erreichen, von denen ein einzelner Mensch kaum zu träumen vermag.

> "Genug zum Leben" ist ein recht anspruchsvolles Programm, meinst Du
> nicht?
> Genug zum Leben bedeutet zwangsweise die Einschränkung der Freiheit
> dritter und es bedeutet natürlich die Einschränkung Deiner eigenen
> Freiheit. Denn damit Du "genug zum Leben" hast, mußt Du stets mit
> anderen kooperieren (und sie mit Dir natürlich auch).

Genug zum Leben ist nicht anspruchsvoll, sondern das, was jedem
Menschen auf diesem Planeten zustehen sollte als natürliches Recht.

> Deinen hemmungslosen Individualismus gibt es nicht für lau. Dafür
> mußte was leisten.

Leisten, leisten, leisten... reicht es nicht, wenn jemand, der meine
Hilfe braucht, mich jederzeit kontaktieren kann, und ich gucke dann,
wie ich helfen kann? Ich hab' ne Mailadresse und 'ne Telefonnummer...
und mein Honorar ist nicht übertrieben hoch. Ich könnte vielleicht
mehr verdienen, wenn ich mich an größere Firmen als Kunden halten
würde, vielleicht 'ne Festanstellung suchen, aber solange ich
irgendwie durchkomme, verzichte ich auf Chef und feste Arbeitszeiten.

> > Bin ich deshalb kein Mensch? Warum sollte ich mehr haben wollen als
> > irgendwer sonst?

> Weils schöner ist. Was Du haben willst, ist schon sehr, sehr viel.
> Ohne Kooperation mit Dritten unmöglich zu verwirklichen.

Genug zum Leben ist nicht viel, angesichts der ungeheuren Reichtümer,
die dieser Planet abwirft. Und ich habe nie behauptet, nicht mit
Dritten kooperieren zu wollen. Nur: Gleichberechtigt, auf Augenhöhe,
ohne Hierarchien.

> > Mir ist egal, ob andere mich für einen niedrigen
> > Wurm halten oder für einen Gott, mir ist egal, ob sie mich beneiden
> > oder bemitleiden - ich will einfach nur gut leben können, mehr nicht.

> Spießer mit Gartenzwerg: Das bist Du. Der Spießer will auch nur gut
> leben, mehr nicht.

Blah.

> > Materieller Besitz ist für mich nur durch die Handlungsoptionen, die
> > er mir gibt, interessant - habe ich einen Backofen, kann ich Kuchen
> > backen.

> Woher kommt Dein Backofen? Wie wurde er produziert? Sind nicht
> vielleicht extrem komplexe Kooperationsketten unterschiedlichster
> Menschen Voraussetzung dafür, bis aus dem Erz einer chinesischen Mine
> Dein Kuchenblech und Deine Backofentür entstehen, der Hirnschmalz des
> Herddesigners, der Transport des Herdes zum Mediamarkt, die
> Finanzierung dieses Herdes, bis das gute Stück erst mal bei Dir steht
> und Du Deinen ersten Kuchen backen kannst? Woher kommt das Mehl,
> woher die Eier und der Zucker für Deinen Kuchen? Regnets das vom
> Himmel oder sind dies nicht ebenfalls Produkte, die am Ende langer
> Kooperationsketten stehen? Woher kommt Dein Können, einen Kuchen zu
> backen? Aus dem Kochbuch? Wie entsteht ein Kochbuch?

Mediamarkt? Wie kommst du darauf, daß ich meinen Backofen aus dem
Mediamarkt bekomme?

Die Produktionsprozesse sind mir sehr wohl bekannt und bewußt, ich
habe mich mit industriellen Prozessen beschäftigt, allein schon, weil
es mich wegen der Umweltproblematik interessiert. Und man bekommt
ganz gute Herde und Backöfen aus Gebrauchtelektroläden.

Im Zweifelsfalle denke ich auch, daß ich durchaus in der Lage bin,
einen Steinbackofen selbst zu bauen, aus simplen Lehmziegeln, wenn's
sonst nichts gibt. Und wie man Feuer mit Holz macht, weiß ich auch.
Hühner kann man auch selbst züchten für die Eier, Zucker und Mehl
sind da schon etwas aufwendiger.

Und ich habe nie, nie etwas gegen Kooperation gesagt - nur gegen
Zwang! Ich bin der Ansicht, daß Kooperation ohne jeglichen Zwang und
Druck möglich sein muß.

> Erzählt mir da was von Kuchenbacken als Freiheit und weiß nicht, daß
> vor dem Kuchen mannigfaltige Kooperationsbeziehungen stehen, die
> allesamt unfrei sind.

Sind sie unfrei, weil Gott das so gemacht hat, oder sind sie es, weil
sie im Zuge eines langen historischen Prozesses unfrei geworden sind?

> Die Frage ist Unfug, weil Dich hierzulande niemand zwingt, eine Rolex
> zu erwerben. Im Gegenteil: Rolex gibts nicht für jeden. Eine Rolex
> wird nicht gekauft, um die Zeit anzuzeigen: Das kann ein Funkwecker
> für 5 Euro besser.
> Der Kauf einer Rolex hat andere Beweggründe. Für einen Zuhälter ist
> die Rolex durchaus rational, sie erhöht nicht nur seinen
> Sozialstatus, sondern sie läßt sich auch schnell im Pfandhaus zu Geld
> machen, wenn die Polizei mal hinter ihm her ist. Eine Rolex für 10000
> bringt 3000 im Pfandhaus: Cash auf die Kralle, nur Bares ist Wahres.
> Manchmal braucht man schnell Geld, kann aber nicht auf die Bank. Da
> ist es sehr praktisch, wenn man einen unmittelbaren geldwerten
> Vorteil am Handgelenk hat, der nebenbei noch schick & shiny die Zeit
> anzeigen kann.

Ich wollte halt darauf hinaus, daß nicht jeder besser sein will als
andere - ich selbst will es eben nicht. Statussymbole, Reichtum,
Macht, all das interessiert mich nur insofern, als daß ich Macht und
Reichtum als etwas sehe, das breit gestreut statt konzentriert sein
sollte, etwas, an dem jeder Mensch gleichen Anteil haben sollte.

> Du kannst ein Auto kaufen oder ein Auto mieten: Wenn Du mehr auf
> Miete stehst dann machste halt das. Dafür hast Du hier zahlreiche
> Optionen. Zahlen mußt Du so oder so. Anders geht es nicht.

Ich könnte mich auch mit Gleichgesinnten zusammentun und gemeinsam
ein Auto kaufen, das allen gehört. Wobei ich Autos extrem
uninteressant finde, habe nicht einmal einen Führerschein. Lieber
hätte ich eine Werkstatt, die ich mir mit anderen Leuten teilen
könnte.

Und es muß nicht immer jeder Wert in Geld gemessen werden. Ein
Interessenausgleich muß nicht unbedingt den Charakter einer Zahlung
haben. Man kann sich auch anders einigen, in vielen Fällen.

> Frißt zuviel Zeit und Deine Lebenszeit ist endlich. Weil die
> Koordination der Kooperation so viel Zeit frißt und unser Leben
> endlich ist, haben wir uns Symbolsysteme erschaffen, die diesen
> Diskursprozess abkürzen: Geld, z.B.
> Diskutier doch mal mit Zahnweh bei Deinem Zahnarzt, ob Du Bohrung und
> Inlay mit selbstgebackenen Kuchen abstottern kannst.
> Ich mach das nicht, ich gehe zum Zahnarzt und sage: Der A7er (hinten
> links oben aus der Ego-Perspektive) tut weh, machen sie was und
> schicken sie mir die Rechnung. Und der Zahnarzt fragt nicht lang blöd
> rum, sondern untersucht und behandelt.
> Das ist einfach, das ist praktisch, deswegen ist der Zahnarztbesuch
> auch nach einer Stunde vorbei und ich muß nicht noch lange
> aushandeln, ob ich ihm für die Behandlung 10 Torten backe.
> Bis auf Bäckermeister und Konditoren bezahlt beim Zahnarzt niemand
> mit Brötchen oder Torten. Und selbst diese beiden tun es nicht
> direkt: Was will der Zahnarzt denn auch mit 500 Brötchen im Tausch
> gegen eine Behandlung? Davon kann er maximal 3 Stück essen, die
> anderen werden steinhart. 497 steinharte Brötchen sind aber irgendwo
> ziemlich sinnlos. Da beißen sich die Leut nur die Zähne dran aus...

Man könnte es auch so regeln, daß jeder Mensch tut, was eben getan
werden muß, und alles, was durch die Tätigkeiten erwirtschaftet wird,
allen zur Verfügung steht, die es brauchen. Man müßte sich nur von
der Idee von "Eigentum" lösen, jedenfalls, was Dinge angeht, die über
persönlichen Besitz hinausgehen. Eigentum mag sein, was ein Mensch in
seinen privaten Wohnräumen hat, persönliche Gegenstände halt, aber
alles sonst gehört allen, und die Benutzung wird frei ausgehandelt.

Eine solche Gesellschaft wäre viel, viel langsamer, das gebe ich zu.
Andererseits ist unsere Gesellschaft sowieso schon viel zu schnell.
Wir müssen mal dringend vom Gas gehen und das Lebenstempo drosseln.
Da verbringt man dann vielleicht einmal einen halben oder gar einen
ganzen Tag damit, herumzusitzen und zu diskutieren, wer wann was
warum tun will, und wie man das alles miteinander koordiniert, und
danach verteilt man die Arbeit auf drei Tage, auch wenn sie an einem
erledigt sein könnte, wenn's gerade nicht dringend ist...

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