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mehr als 1000 Beiträge seit 29.06.2001

Missverständnisse

Lange ging man davon aus, dass das Gehirn wesentlich aus zwei
Gehirnhälften besteht. Die rechte und die linke, die jeweils für
andere Aufgaben zuständig sind, die Hemisphären. Das passte auch
prima ins Weltbild: links, rechts, Ost, West. Man hatte ein Buch mit
zwei Seiten, schön überschaubar und mußte jetzt nur noch klären, wie
diese zwei Seiten zusammenarbeiten. Dualismus.

Heute hat man sich von diesem einfachen Modell verabschiedet, denn
man hat festgestellt, dass alle Gehirnregionen irgendwie vernetzt
sind und miteinander ständig interagiern. Man kann Gefühl und Denken
gar nicht voneinander trennen, denn es bewirkt sich wechselseitig
und, weil es so schön ins heuteige Weltbild passt, nennt man es nun
"neurale Netzwerke". Irgendwo dazwischen vermischt, das Gedächtnis,
was den Wissenschaftlern leider nicht den Gefallen getan hat, dass es
sich so einfach lokalisieren läßt. Ja, wo sind denn die ganzen Daten,
sind es überhaupt Daten? (Heinz von Foerster vermutet zum Beispiel,
dass wir keine Informationen speichern, sondern flexible Algorythmen,
die uns die Informationen beim Abrufen jedes Mal neu wiederherstellen
lassen). Jetzt hat man ein Problem. Links und Rechts passte so schön
zu Wenn und Dann, man könnte sagen: ein kausalitätsfreundliches
Modell. Jetzt hat man dagegen ein undurchschaubares Chaos, wo man
eigentlich nur noch punktuell klare Kausalitäten finden kann, wenn
überhaupt (Siehe auch Chaosforschung). Aber wieso sollte die Biologie
(Hirnforschung) nicht diese Probleme haben, wo die Quantenphysik
mittlerweile sogar mit Unschärfenrelationen und Wahrscheinlichkeiten
anstatt klaren Wenns und Danns und klaren Beweisen lebt. Manche
behaupten sogar, die Physik befände sich bereits in einer Liaison mit
der Metaphysik. (und wenn schon!) Das macht die klare Beweisführung
unmöglich, aber erzeugt dafür eine neue Form von Denkfreiheit.

Was beeinflußt das menschliche Verhalten?

Auch hier haben wir ein Buch mit zwei Seiten: Anlage oder Umwelt?
Leugnet man ersteres, dann leugnet man, dass es eine menschliche
Natur gibt (und das, bei einem aus der Natur entstandenem Wesen!),
leugnet man zweiteres, dann wäre der Mensch von Geburt an
unveränderlich festgelegt (zur Freude der Wissenschaft, die dann nur
noch nach Kausalitäten suchen muss, um menschliches Verhalten
komplett zu entschlüsseln.)
Mann und Frau, auch so ein Dualismus, der uns verheimlicht, dass es
auch Zwitter, Transsexuelle, oder auch einfach männliche Frauen und
weibliche Männer u.s.w. gibt. (und ich bin der Ansicht, dass diese
genauso ihre Existenzberechtigung haben, wie Mann und Frau)
Gut und Böse, war auch einer der Dualismen, die hier aufgetaucht
waren und immer wieder zu Mißverständnissen führten. Aber was ist gut
und was böse? Terroristen werden offiziell als "böse" erachtet,
Soldaten als "gut", aber die Toten, die sie hinerlassen, sind einfach
nur tot, denn ob "gute" oder "böse" Gewalt, der Tod kostet in jedem
Fall das Leben.

Es waren auch Widersprüche aufgetaucht, aber hat ein Widerspruch,
nicht schon alleine deshalb, weil es immer wieder Widersprüche gibt,
die gleiche Existenzberechtigung wie Ja oder Nein? Vielleicht hat das
Buch nicht nur zwei Seiten und neben "ja" und "nein" existieren
gleichberechtigt "jein", "weder noch" und "sowohl als auch" und sonst
noch was. In der Psychologie versucht man mittlerweile mit Paradoxien
zu arbeiten. Um die Welt mit Kausalzusammenhängen erklären zu können,
dürfte es gar keine Paradoxitäten geben. Es gibt sie aber.

Das Buch mit den zwei Seiten ist zu simpel, um die Welt zu erklären.
Wenn sich ein bestimmter Mensch an einem bestimmten Ort, zu einer
bestimmten Zeit in einer bestimmten Weise verhält, wer will in der
Lage sein, ganz genau zu ergründen, wo die Ursachen für dieses
Verhalten liegen? Die Ursachen sind einfach viel zu komplex.

Man kann einzelne Verbindugen finden, mehr assoziativ. Daraus ergeben
sich interessante Geflechte und man findet auch immer irgendwelche
Erklärungen und Analogien, aber nicht wirklich umfassende, beweisbare
Kausalitäten. Warum auch? Was ist an Kausalitäten so toll? Sie sind
logisch analytisch. Das ist natürlich toll, weil empierisch
beweisbar, aber was habe ich davon, wenn sie die Welt so
versimplizieren, dass man mit den hervorgebrachten Erklärungen nie
und nimmer das erklären kann, was man eigentlich erklären will: Das
komplexe menschliche Verhalten. Nichts habe ich davon!

Ich habe zu diesem Thema quer Beet recherchiert in allen
wissenschaflichen und nicht wissenschaftlichen Bereichen und immer
wieder Verknüpfungen gefunden, aber es ging mir nie darum zu
bestimmen zwischen Gut und Böse oder Anlage und Umwelt, denn an so
ein einfaches Modell glaube ich nicht. Es ergeben sich spannende
Ansätze, wenn man aus allen Bereichen Fakten, Thesen und Vermutungen
sammelt und an einigen Stellen feststellt, dass sich Netze zwischen
Dingen spannen, die man normaler Weise, der vereinfachten
Wissenschaftlichkeit halber, getrennt betrachtet. Trennen ist das
Wesen der Analyse. Der Mensch, der ein Verhalten zeigt ist aber ein
ganzer Mensch und wenn man sein Verhalten zuerst einmal in Kategorien
ordnet, dann hat man es schon zerstört. Dem menschlichen Denken
bleibt aber gar nichts anderes übrig, als zu selektiern und
einzuordnen. Anders kann er gar nicht denken. Zumindest kann er aber
bei all der Analyse im Hinterkopf behalten, dass es sich nur um
Modelle handelt, welche die Realität vereinfachen, oder sogar erst
konstruieren.

Ihr scheint daran zu glauben, dass man mit Analyse und kausalem
Denken zu einem realistischen Ergebnis kommen kann, denn ihr versucht
mich die ganze Zeit in so ein einfaches Modell einzuordnen. Da ist es
natürlich klar, wieso die Diskussion sich verfährt und ständig
Mißverständnisse auftauchen!
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