Wäre es so, wie Herr Spät schreibt, müßte man sich wirklich fragen,
wo die Systemrevolution bleibt. Seine Argumentation scheint mir
allerdings mit allerlei Ungenauigkeiten durchsetzt:
1.) Smith's "invisible hand"
Etwas Sogfalt beim Zitieren wäre nett, zumindest soweit, um
Sinnentstellungen zu verhindern. Der zitierte Abschnitt behandelt
nicht das Verhalten 'der Menschen' sondern der 'Reichen' (Zum
Nachlesen:
http://www.econlib.org/cgi-bin/searchbooks.pl?searchtype=BookSearchPa
ra&pgct=1&sortby=R&searchfield=F&id=6&query=invisible+hand&x=0&y=0&an
dor=and). Damit wird auch klar, daß für Smith nicht die
liberalisierten Marktkräfte (von denen ist nirgends die Rede) die
Menschen zu einem Verhalten bringen, das letztlich den Wohlstand für
alle hebt, sondern eine "unsichtbare Hand" das Verhalten _der
Reichen_ in sozial wünschenswerter Weise steuert.
Damit wird schon deutlich, daß die Mr. Smith's Einfluß hier massiv
überschätzt wird (zumal er im Abschnitt, dem das Zitat entnommen
wurde, für heutige Gesellschaften empirisch unhaltbar ( 'die Reichen
konsumieren wenig mehr als die Armen' ) und aus heutiger Sicht
reichlich zynisch ( 'Hinsichtlich körperlichem Wohlbefinden und
Seelenfrieden finden sich alle Stände fast auf gleichem Niveau, und
der Bettler, der sich am Straßenrand sonnt, besitzt jene Sicherheit,
um die Könige kämpfen' ) argumentiert.
Wir lesen zudem nicht aus Smith's Hauptwerk ( 'An Inquiry into the
Nature and Causes of the Wealth of Nations' ) sondern aus 'The Theory
of Moral Sentiments' - das läßt sich anhand des genannten
Publikationsdatums ( 1759 statt 1776 ) erkennen, sollte aber
angesichts des deutlichen Unterschieds im Bekanntheitsgrad beider
Werke ausdrücklich erwähnt werden.
NB: Smith verwendet den Begriff der 'invisible hand' in seinen Werken
genau 2x, in jedem genannten Buch einmal - auch hier suggeriert die
Formulierung des Absatzes vor dem Zitat anderes.
2.) 'Es gibt keinen gezähmten Kapitalismus'
Das ist nun eine ziemlich lachhafte Pauschalisierung, weil sie die
Unterschiede zwischen Manchesterkapitalismus, sozialer
Marktwirtschaft, Staatskapitalismus und weiteren Ausprägungen
nivelliert. Diese Unterschiede bestehen jedoch, und wer sie für nicht
signifikant hält, sollte zumindest einen Erklärungsvorschlag dafür
liefern, weshalb Menschen bei freier Wahlmöglichkeit bestimmte
Varianten systematisch vorziehen.
3.) Die Revolution als Selbstzweck
Nur weil ein System Scheiße ist, heißt es noch lange nicht, daß jedes
andere System weniger Scheiße wäre. Im Umkehrschluß erklärt diese
Einsicht die mangelnde Bereitschaft, sich ohne konstruktive
Perspektive einer Revolution zu verschreiben. Diese Bedächtigkeit
dürfte im Durchschnitt mit Bildung und Informationsstand zunehmen.
Und ja, man kann sich problemlos eine Revolution vorstellen, die in
schlimmeren als den heutigen kapitalistischen Gesellschaften mündet -
dazu braucht man sich nur auszumalen, daß Gruppierungen des rechten
Randes die Politik bestimmen statt sie nur zu beeinflussen oder sogar
außen vor zu bleiben.
4.) 'Die Mehrheit leidet unter dem Kapitalismus'
Neben der leidenden Mehrheit gibt es eben auch eine qualifizierte
Minderheit, die sich ganz kommod unter den kapitalistischen
Bedingungen einrichtet. Und das sind eben nicht nur die
Superreichen, sondern vor allem der bürgerliche Mittelstand.
5.) Die Insel der Seligen.
Auch nicht vergessen sollte man den relativen Wohlstand und die im
weltweiten Vergleich gemütlichen Rahmenbedingungen des Daseins
hierzulande. Dies rechtfertigt keine sozialen Verwerfungen (etwa
Langzeitobdachlosigkeit), senkt aber aus nachvollziehbaren Gründen
die Bereitschaft, ein System umstürzen statt reformieren zu wollen.
Fazit:
Die nicht gestellte Systemfrage sollte weniger verwundern als die
mangelnde Bereitschaft, das System im Sinne der Nachhaltigkeit zu
reformieren. Auch wenn man die Erfolgschancen einer solchen Absicht
grundsätzlich in Zweifel zieht, sollten doch mehr entsprechende
Versuche zu beobachten sein.
Und in dieser Trägheit, die nicht zwingend selbstverschuldet ist
(sondern zB. durch Hemmnisse beim Zugang zu Bildung), liegt imho die
eigentliche Gefahr - eine aus der Annahme, Reformen seien nicht
möglich, gespeiste Resignation die den falschen Kräften eine in die
falsche Richtung laufende Reform des politisch-gesellschaftlichen
Systems ermöglichen. Die Ansicht, dadurch entstünden wenigstens die
Bedingungen für eine erfolgreiche Revolution, leidet an ihrem
Zynismus und dem ausgeblendeten Aspekt, daß sich die Voraussetzungen
für eine _Realisierung_ von Veränderungen ( ob reformatisch oder
revolutionär ) in diesem Szenario eher verschlechtern.
Grüße, Carsten
wo die Systemrevolution bleibt. Seine Argumentation scheint mir
allerdings mit allerlei Ungenauigkeiten durchsetzt:
1.) Smith's "invisible hand"
Etwas Sogfalt beim Zitieren wäre nett, zumindest soweit, um
Sinnentstellungen zu verhindern. Der zitierte Abschnitt behandelt
nicht das Verhalten 'der Menschen' sondern der 'Reichen' (Zum
Nachlesen:
http://www.econlib.org/cgi-bin/searchbooks.pl?searchtype=BookSearchPa
ra&pgct=1&sortby=R&searchfield=F&id=6&query=invisible+hand&x=0&y=0&an
dor=and). Damit wird auch klar, daß für Smith nicht die
liberalisierten Marktkräfte (von denen ist nirgends die Rede) die
Menschen zu einem Verhalten bringen, das letztlich den Wohlstand für
alle hebt, sondern eine "unsichtbare Hand" das Verhalten _der
Reichen_ in sozial wünschenswerter Weise steuert.
Damit wird schon deutlich, daß die Mr. Smith's Einfluß hier massiv
überschätzt wird (zumal er im Abschnitt, dem das Zitat entnommen
wurde, für heutige Gesellschaften empirisch unhaltbar ( 'die Reichen
konsumieren wenig mehr als die Armen' ) und aus heutiger Sicht
reichlich zynisch ( 'Hinsichtlich körperlichem Wohlbefinden und
Seelenfrieden finden sich alle Stände fast auf gleichem Niveau, und
der Bettler, der sich am Straßenrand sonnt, besitzt jene Sicherheit,
um die Könige kämpfen' ) argumentiert.
Wir lesen zudem nicht aus Smith's Hauptwerk ( 'An Inquiry into the
Nature and Causes of the Wealth of Nations' ) sondern aus 'The Theory
of Moral Sentiments' - das läßt sich anhand des genannten
Publikationsdatums ( 1759 statt 1776 ) erkennen, sollte aber
angesichts des deutlichen Unterschieds im Bekanntheitsgrad beider
Werke ausdrücklich erwähnt werden.
NB: Smith verwendet den Begriff der 'invisible hand' in seinen Werken
genau 2x, in jedem genannten Buch einmal - auch hier suggeriert die
Formulierung des Absatzes vor dem Zitat anderes.
2.) 'Es gibt keinen gezähmten Kapitalismus'
Das ist nun eine ziemlich lachhafte Pauschalisierung, weil sie die
Unterschiede zwischen Manchesterkapitalismus, sozialer
Marktwirtschaft, Staatskapitalismus und weiteren Ausprägungen
nivelliert. Diese Unterschiede bestehen jedoch, und wer sie für nicht
signifikant hält, sollte zumindest einen Erklärungsvorschlag dafür
liefern, weshalb Menschen bei freier Wahlmöglichkeit bestimmte
Varianten systematisch vorziehen.
3.) Die Revolution als Selbstzweck
Nur weil ein System Scheiße ist, heißt es noch lange nicht, daß jedes
andere System weniger Scheiße wäre. Im Umkehrschluß erklärt diese
Einsicht die mangelnde Bereitschaft, sich ohne konstruktive
Perspektive einer Revolution zu verschreiben. Diese Bedächtigkeit
dürfte im Durchschnitt mit Bildung und Informationsstand zunehmen.
Und ja, man kann sich problemlos eine Revolution vorstellen, die in
schlimmeren als den heutigen kapitalistischen Gesellschaften mündet -
dazu braucht man sich nur auszumalen, daß Gruppierungen des rechten
Randes die Politik bestimmen statt sie nur zu beeinflussen oder sogar
außen vor zu bleiben.
4.) 'Die Mehrheit leidet unter dem Kapitalismus'
Neben der leidenden Mehrheit gibt es eben auch eine qualifizierte
Minderheit, die sich ganz kommod unter den kapitalistischen
Bedingungen einrichtet. Und das sind eben nicht nur die
Superreichen, sondern vor allem der bürgerliche Mittelstand.
5.) Die Insel der Seligen.
Auch nicht vergessen sollte man den relativen Wohlstand und die im
weltweiten Vergleich gemütlichen Rahmenbedingungen des Daseins
hierzulande. Dies rechtfertigt keine sozialen Verwerfungen (etwa
Langzeitobdachlosigkeit), senkt aber aus nachvollziehbaren Gründen
die Bereitschaft, ein System umstürzen statt reformieren zu wollen.
Fazit:
Die nicht gestellte Systemfrage sollte weniger verwundern als die
mangelnde Bereitschaft, das System im Sinne der Nachhaltigkeit zu
reformieren. Auch wenn man die Erfolgschancen einer solchen Absicht
grundsätzlich in Zweifel zieht, sollten doch mehr entsprechende
Versuche zu beobachten sein.
Und in dieser Trägheit, die nicht zwingend selbstverschuldet ist
(sondern zB. durch Hemmnisse beim Zugang zu Bildung), liegt imho die
eigentliche Gefahr - eine aus der Annahme, Reformen seien nicht
möglich, gespeiste Resignation die den falschen Kräften eine in die
falsche Richtung laufende Reform des politisch-gesellschaftlichen
Systems ermöglichen. Die Ansicht, dadurch entstünden wenigstens die
Bedingungen für eine erfolgreiche Revolution, leidet an ihrem
Zynismus und dem ausgeblendeten Aspekt, daß sich die Voraussetzungen
für eine _Realisierung_ von Veränderungen ( ob reformatisch oder
revolutionär ) in diesem Szenario eher verschlechtern.
Grüße, Carsten