Ich hatte nach der Schule ein Jahr bei Emmaüs gearbeitet, mit exakt dem gleichen Status, wie die sog. Kompagnons. Kompagnon kann jeder werden.
Das System ist einfach. Was die deutschen auf den Sperrmüll stellen, das schenken Franzosen oft dorthin. Für den Kompagnon sind die Regeln einfach: keine Gewalt, kein Alkohol auf dem Gelände, 40h/Woche arbeiten. Dafür gibt es ein eigenes Zimmer, 2,5 Mahlzeiten/Tag ( von Frühstück halten Franzosen nicht viel), man darf sich das Zimmer mit den second Hand Möbeln/Geräten einrichten und vor 20 Jahren 240€/Monat Taschengeld. Wer mehr Verantwortung über nehmen will und kann bekommt eine Wohnung außerhalb gestellt und ein höheres Salär. Wer zurück in die "normale Gesellschaft" will, der wird unterstützt.
Man ist dort Teil einer Wertschöpfungskette. Wen niemand was abholt, gibt es nichts zu reparieren, wenn nichts repariert wird gibt es nichts zu verkaufen, wenn nichts verkauft wird kommt kein Geld rein.
Und genau dieser Punkt gibt den Menschen Würde. Gebraucht zu werden, etwas beitragen zu können.
Es hat etwa ein halbes Jahr gedauert bis die mich vollakzeptiert haben - den 19jährigen aus guten Verhältnissen, der das "zum Spaß macht".
Dann haben sie mir angefangen zu erzählen wie sie dort gelandet sind. Im Grunde gibt es nur 2 Schicksale.
1.) längere Zeit im Knast verbracht.
2.) Eine beliebige Permutation aus Alkohol - Arbeit weg - Familie weg - Wohnung/Haus weg.
Es haben nicht alle geschafft dort zu bleiben, oder den Absprung zu schaffen. Manche sind nach dem Winter wieder auf die Straße. In Südfrankreich ist das ggf. auch ein etwas anderes Leben als in Berlin. Die Psyche spielt auch eine Rolle. Manche haben das geregelte Leben auf Dauer nicht ausgehalten. Alle durften aber wiederkommen, sofern sie sich nicht an der Gemeinschaft versündigt haben, oder (in einem Fall) von der Polizei gesucht wurden, weil sie einem Gerichtstermin wegen irgendwas unappetitlichem mit kleinen Kindern nicht wahrgenommen haben.
In DE gibt es zwar solche Angebote auch, ich habe jedoch das Gefühl, dass hier Menschen verwaltet werden. Dort wurde gelebt.
Sicherlich spielen in Frankreich dabei 4 Dinge eine Rolle. Die Popularität des Gründers, die Prägung durch den Katholizismus (nicht falsch verstehen die meisten jungen Franzosen sind nicht sonderlich religiös), die Fraternité (Brüderlichkeit) der französischen Revolution und die Kriegserfahrung.
In WK I haben die Franzosen rotiert. Jeder war mal an der Front (die Deutschen haben ihre Leute über Monate dort gelassen, nicht jeder hat die gleichen Erfahrungen gemacht). Die Fraternité ist bei uns verklausuliert als "Die BRD ist ein sozialer Bundesstaat" ins GG übernommen worden, aber die Aussage ist eine andere. Der Katholizismus (tue gutes um in den Himmel zu kommen) steht bei uns dem Protestantismus gegenüber (nur die Gnade Jesu ist entscheidend, bei den Anglikanern gar: ich bin reich, weil Gott mich liebt). Und leider, leider hatten wir hier keinen Abbé Pierre.
Aus dieser Erfahrung heraus meine ich behaupten zu können: Menschen zu verwalten wird nicht funktionieren. Man muss ihnen das Gefühl geben wichtig zu sein und für ihre individuellen Stärken loben und: Menschen denen die Struktur abhanden gekommen ist muss man eine bieten.
Allen ein frohes Weihnachtsfest!
Gruß
DWD