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  • rhytidiadelphus

860 Beiträge seit 07.11.2021

Grundrente

Der Autor bezieht sich auf die Marx'sche Theorie der Grundrente, scheint sie aber nicht begriffen zu haben.
1) Die Grundrente bei Marx ist im Wesentlichen "Differnzialrente" (die sog. "absolute Grundrente" ist demgegenüber in den besagten Fällen belanglos). Für Rohstoffförderung bedeutet sie: je nach natürlichen Gegebenheiten ist die Förderung eines gegebenen Quantums des Rohstoffs (etwa 1 Barrel Öl) unterschiedlich kostspielig. Der, der über ein Grundstück verfügt, auf welchem günstige Förderung möglich ist, kann die Kostendifferenz zur Förderung an Lagerstätten, welche für die gesamtgesellschaftliche Nachfragedeckung zwar erforderlich, aber ungünstigster sind, als Grundrente einstreichen, indem er sein Produkt zu den gleichen Preisen verkaufen kann wie der Produzent am ungünstigsten Standort.
2) Die Grundrente entspringt daher nicht dem Boden, sondern ist ein Teil des anderweitig produzierten Reichtums, den sich der Grundeigentümer aufgrund oben besagter Mechanismen aneignet.
3) Daher ist es falsch, die Sache so darzustellen als würde den Ölscheichs etwas entzogen, was ihnen eigentlich - wohl im Sinne irgend welcher Gerechtigkeitsideale - zustehen würde. Tatsächlich muss aber - mit Marx - gesagt werden, dass die ganze Erde, inklusive ihrer Bodenschätze - der Menschheit insgesamt gehört.
4) Völlig daneben ist es, wenn dann der Grund für die Armut rohstoffreicher Länder darin gesucht wird, dass denen die Grundrente vorenthalten würde. Dann müssten wohl diejenigen Länder des globalen Südens, die über keine nennenswerten Bodenschätze verfügen, ihre Armut der Natur - und nicht dem Imperialismus - zuschreiben. Das wäre schon deshalb unsinnig, weil ja auch manche reiche Länder kaum über Rohstoffe verfügen.
5) In Wirklichkeit ist es so, dass nur die reichen Länder über die Industrie verfügen, durch die die Rohstoffe überhaupt erst nützlich werden. Die armen Länder müssen daher froh sein, wenn sie im Gegenzug gegen die Rohstoffbereitstellung eine Alimentierung ihrer Staatsmacht bekommen.
6) Daher ist es sehr fragwürdig, wenn im Artikel gesagt wird, Länder des globalen Südens bekämen Industriewaren gegen Rohstoffe: jawohl, bei der Polizei- und Militärausrüstung der dortigen Regierungen handelt es sich gewiss um Industriegüter, aber ob die Bevölkerung in Genuss von Industriegütern kommt, ist fraglich. eher ist es schon so, dass sie von den Rohstoff-Standorten vertrieben wird und im Elend der Slums landet.

Damit will ich es einmal bewenden lassen, denn klar dürfte geworden sein, dass der Grund für die Armut des globalen Südens anders zu bestimmen ist, und dass der gewalttätige Streit um den Zugriff auf die Rohstoffquellen nicht Grund, sondern Symptom und Verlaufsform dieser imperialistischen Verhältnisse ist.

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