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  • Erny

718 Beiträge seit 11.04.2001

Zur Lage der Stadt Schwedt/Oder

In den ganzen (medialen) Diskussionen geht ja oft unter, dass in Schwedt/Oder und Nachbarorten auch noch Menschen leben und in der Region bleiben wollen.

Das PCK war zu Mauerzeiten der größte Arbeitgeber in der Stadt, auch wenn es mit der Papierindustrie noch einen anderen großen Industriezweig bis heute gibt.
Nach der Wende wurde das PCK erfolgreich privatisiert. Es gingen zwar viele Arbeitsplätze verloren, aber viele Tätigkeiten, die früher unter dem Dach des einstigen Kombinats erledigt wurden, wurden durch externe Dienstleister und Zulieferfirmen ersetzt. Ein Beispiel ist z.B. eine kleine Landschaftsbaufirma am Rande der Raffinerie, die sich exklusiv um den Wald, die Grünflächen und im Winter auch um den Winterdienst auf dem riesigen Areal der Raffinerie kümmert. Die Firma kann ohne PCK Insolvenz anmelden. Es gibt noch viele andere Beispiele.

Die ganze Nationalparkstadt ist nicht nur von den Produkten des PCK abhängig, sondern auch finanziell, da die Stadt sich von den Steuern finanziert, die das PCK und die ganzen Zulieferfirmen und Dienstleister erwirtschaften. Der Stadt geht es finanziell relativ gut. Es leistet sich durch kommunale Tochterunternehmen ein Spaß- und Schwimmbad, ein Kino, die Uckermärkischen Bühnen als Eigenbetrieb als eines von 2 Landestheatern in Brandenburg, eine recht große Wohnungsbaugesellschaft uvm. Dazu kommen noch Beteiligungen für die übliche kommunale Daseinsfürsorge (ÖPNV-Busbetrieb uvm.).

Die Kernstadt (in den Stadtgrenzen von 1993) hat seit der Wende die Hälfte seiner Einwohner verloren. Nur durch unzählige Eingemeindungen des Umlands hat die Stadt ihre Einwohnerzahl auf ca. 34k erhöht und ist damit die einwohnerstärkste Stadt der ganzen Uckermark. Schwedt fungiert hierbei als Mittelzentrum in der Uckermark.

Die Kernstadt war einst eine sozialistische Musterstadt mit Plattenbau-Stadtteilen noch und nöcher. Auch wenn in den letzten 25 Jahren bereits ganze Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht wurden und viele Eigenheimsiedlungen entstanden sind, besteht die Stadt noch immer zu sehr weiten Teilen aus einst sozialistischen Wohnblöcken, die nach der Wende größtenteils saniert und modernisiert wurden. Der letzte Rest, der nicht mehr benötigt wird, wird auch weiterhin abgerissen. Den Abriss betreffen nun auch vermehrt einst sanierte Wohnblöcke. Diese ganzen Wohnblöcke werden vom Industriekraftwerk im PCK seit Beginn an mit Fernwärme versorgt. Die örtlichen Stadtwerke haben gar nicht die Kapazität, die Stadt mit eigenen Anlagen zu versorgen, wenn im PCK von heute auf morgen kein Öl mehr ankommt.
Schwedt ist nicht Ludwigshafen. Im Unteren Odertal sind die Winter trotz Klimakatastrophe noch immer durchschnittlich kälter als am Oberrheingraben.
Wenn das PCK von jetzt auf gleich kein Öl mehr bekommt, gehen in der Stadt die Lichter aus und die Heizungen in den Wohnungen bleiben kalt. Dann stehen für die Stadt der Weiterbetrieb des Landestheaters, das Kino, das Spaß- und Schwimmbad uvm. auf dem Spiel. Die Stadt hat dann zwar weiterhin noch die große Papierfabrik, den Nationalpark Unteres Odertal samt Tourismus, das mittelständische Kleinhandwerk und das übliche Gewerbe. Doch die Stadt ist jetzt schon relativ tot ohne die Uckermärkischen Bühnen als Kultur- und Eventzentrum. Brauchbare Gastronomie gibt es schon jetzt nicht, weil überall nur alte Menschen leben, die abends nicht ausgehen. Damit allein wird die Stadt den Wegzug ohne PCK nicht stoppen, auch wenn Berlin samt Speckgürtel aus allen Nähten platzt und immer teurer wird.
Die Leute in der Stadt gehen dann auf die Barrikaden. Da die Stadt in seiner Bevölkerungsstruktur massiv überaltert ist (jede Menge PCK-Senioren), werden sich viele mit der neuen Situation auch äußerst schwer tun und wohlmöglich zu den Parteien rechtsaußen rennen. Rein politisch ist Schwedt bis noch immer eine SPD-Hochburg in Brandenburg - seit der Wiedervereinigung. Die Jüngeren ziehen seit 30 Jahren weg aus der Stadt oder pendeln jeden Tag nach Berlin, was dank der Bahnanbindung ganz gut klappt.

Die Stadt muss ganz klar einen wirtschaftlichen und industriellen Strukturwandel durchleben. Das war auch vor dem 24. Februar 2022 klar. Wie aber auch in der Niederlausitz geht das nicht innerhalb weniger Monate.
Auf dem Areal des PCK hat sich vor längerer Zeit ein internationaler Konzern mit einer neuen Anlage für Kraftstoffe aus biologischen Rohstoffen angesiedelt. Diese Anlage produziert z.B. Bioethanol, der dem Ottokraftstoff beigemischt wird. Die Anlage ist aber auch in der Lage, andere synthetische Kraftstoffe zu produzieren. Dabei können auch Bio-Abfälle verarbeitet werden, also auch jene, die aus der Lebensmittel-Landwirtschaft übrig bleiben. Bauern müssen also nicht die ganze Gülle auf den Acker kippen und das Grundwasser verseuchen, sondern können das in dieser Anlage zu synthetischen Kraftstoffen verarbeiten lassen. Das geht mit Stroh aus der (Lebensmittel-)Getreideernte uvm. Natürlich braucht man dafür viel Strom aus erneuerbarer Energie. Wenn man aber aus Schwedt rausfährt, ist die ganze Landschaft vollgestellt mit Windparks.
Das wäre aber alles nur ein Anfang.

Für Außenstehende ist es leicht, zum PCK dies und das zu fordern. Aber man muss eben auch die gesellschaftspolitischen Folgen, die Folgen für die Menschen vor Ort bedenken, wenn das Werk wegen Ölmangels abgewickelt werden muss. Das käme einer drastischen Deindustrialisierung der Uckermark gleich, die in ganz Brandenburg nicht folgenlos bleibt.

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