Unser Einkommensteuertarif ist nicht-linear. Der sog. "Grenzsteuersatz" hat Brüche, Sprünge und unterschiedliche Steigungen in den sog. "Progressionszonen". Diese Änderungen im Grenzsteuersatz sind sog. "Eckwerte" zugeordnet. Detailliert ist das bei Wikipedia erklärt.
Diese "Eckwerte" sind absolute Beiträge. Sie unterliegen in ihrer Wertigkeit der Teuerung. Der Grundfreibetrag E0 ist der erste Eckwert. 1996 hat das BVerfG der Politik aufgetragen, diesen Eckwert an die allgemeine Teuerung anzupassen, in dem es festgeschrieben hat, das Existenzminimum steuerfrei zu stellen. Es wäre nun logisch, alle weiteren Eckwerte E1 - E3 stets um den selben Faktor anzupassen, damit die Systematik im Steuertarif nicht verzerrt wird. Doch wie haben sich die Eckwerte seit 2005 unter der heiligen Raute zu Uckermark verändert?
Änderung der Eckwerte 2005 - 2018
E0 (Grundfreibetrag): 17,43%%
E1 (Übergang von der ersten zur zweiten Progressionszone): 9,87%
E2: Ende der Progressionzone): 5,37%
E3: (Reichensteuer, ab 2007): (4,2%)
Zum Vergleich:
Von 2005 - 2017 weisen die langen Reihen des Bundesamtes für Statistik eine Teuerung von 18,16% aus. Für 2018 können wir 2% annehmen, also haben wir überschlägig bis 2018 20% Teuerung.
Beitragsbemessungsgrenze RV/AV West-Deutschland: 25%
Beitragsbemessungsgrenze Kranken- und Pflegeversicherung: 25,5%
Zusammenfassung:
Die Bundesregierung hat die Eckwerte im Steuertarif durchweg nicht einmal an die geschönten Zahlen des Bundesamts für Statistik angepasst. 20% Teuerung seit 2005 sind ein Witz, trotzdem wurde das Progressionsende nur um lächerliche 5,37% verschoben. Gleichzeitig hat die Politik durch die überzogene Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen ordentlich bei Facharbeitern und (oberer) Mittelschicht zugelangt. Durchweg wurden die Beitragsbemessungsgrenzen um 25% erhöht, was einer Beitragssteigerung von 25% gleichkommt.
Die unzureichende Anpassung der Eckwerte kommt einer heimlichen Steuererhöhung gleich.
Der Steuertarif wird immer "steiler", der zu zahlende Steuersatz steigt immer schneller, obwohl der Steuerpflichtige inflationsbereinigt vor Steuern gar nicht über mehr Einkommen verfügt. Die kalte Progression sorgt aber dafür, dass er inflationsbereinigt nach Steuern über weniger Kaufkraft verfügt.
Auswirkung der kalten Progression
Wären die Eckwerte seit 2005 stets um die Teuerung (20 %) erhöht worden, dann lägen sie heute bei:
E0: 9.197 € statt 9.000 €
E1: 15.287 € statt 13.996 €
E2: 62.581 € statt 54.949 €
Wer ein zu versteuerndes Einkommen über dem Progressionsende hat (E2), dem knöpft der Staat über die Einkommensteuer Jahr für Jahr 900 € mehr ab. Dazu muss man wissen, dass bei einem zu versteuerdem Einkommen von 55k nach Abzug von Steuern, Abgaben, Miete, Nebenkosten, Strom, Nahrung, PKW etc. am Ende vielleicht noch 10-20 k€ zur freien Verfügung übrig bleiben. Die Politik stiehlt dem Facharbeiter durch die kalte Progression auf dieser Basis also 9-18% seines nicht verplanten (!) verfügbaren Haushalts-Nettoeinkommens, also dem Teil, über den er noch frei verfügen kann.
Kalte Progression unter dem Aspekt der Steuergerechtigkeit
Die Auswirkung der kalte Progression ist am Ende einer Progressionszone am größten. 900 € Fehlbetrag wirken sich bei 55k nun einmal stärker aus als bei einem Einkommen von 250k. Die kalte Progression steht damit im Widerspruch zu dem Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Durch die kalte Progression werden vor allem mittlere Einkommen belastet, wärend Spitzeneinkommen praktisch kaum davon betroffen sind.
Belastung kleiner Einkommen durch die erste Progressionszone:
Auch die unteren Einkommen werden durch die mangelhafte Anpassung des Übergangs von der ersten zur zweiten Progressionszone besonders abgezockt. Hierzu muss man wissen, dass die Steigung des Grenzsteuersatzes in der ersten Progressionszone mehr als 4,5 x größer ist als in der zweiten Progressionszone. Kleine Einkommen werden zudem durch den sprunghaften Anstieg des Grenzsteuersatzes von 0 auf 14% belastet.
Bei einer Zusammenführung beider Progressionszonen ergäbe sich ein linearer Anstieg des Grenzsteuersatzes von 9.197 € auf 62.581 €, die Steigung betrüge durchweg 5,24 * 10^-6 ((42% - 14%) / (62.581 € - 9.197 €)). Bei einem zu versteuerndem Einkommen von 30.000 Euro betrüge die Entastung durch Kompensation der kalten Progression und Zusammenlegung der Progressionszonen dann bereits 1.300 €, Steuerpflichtige am Ende der Progressionszone hätten 2.700 € mehr in der Tasche.
Was meint die Politik?
Laut SPD gibt es überhaupt keine kalte Progression. Das sei nur theoretisch.
Die Mittelstandsvereinigung der CDU hat zuletzt 2014 den Zwergenaufstand geprobt angemahnt, das Thema kalte Progression endlich anzugehen. Doch nachdem die heilige Raute zu Uckermark verkündete, dafür sei kein Spielraum im Haushalt vorhanden, ist das Thema wieder in der Schublade verschwunden.
Zwar hat man in den letzten 2 Jahren erstmals die oberen Eckwerte stärker als früher angepasst, doch die Steigerungen liegen noch immer unter der Anpassung des Grundfreibetrags und erst recht unter der Teuerungsrate seit 2005.
Änderung der Eckwerte 2016-2018
E0: 4,02%
E1: 2,39%
E2: 2,39%
Die Politik hat also nicht einmal den Anstand, die unteren Einkommen von der kalten Progression zu befreien, selbst dann, wenn sie frech in aller Öffentlichkeit das Gegenteil behauptet.
Die Politik nutzt die kalte Progression unverändert, um heimlich und ohne Debatte im Bundestag immer weiter die Steuerlast zu ehöhen.
Bonmot
Wer sich wundert, wieso man für den Verzicht auf eine Steuererhöhung überhaupt einen Spielraum im Haushalt benötigt, der sei noch auf folgenden Sachverhalt verwiesen.
Jede Haushaltsplanung arbeitet mit den Zahlen der Steuerschätzung, die am Ende eines Jahres durchgeführt wird. Die Steuerschätzer rechnen aber bei ihrer Kalkulation regelmässig die Mehreinnahmen durch die kalte Progression mit in ihre Zahlen ein, weil es keine gesetzliche Grundlage gibt, die Eckwerte regelmässig an die Teuerung anzupassen. Die Politik verplant ihrerseits sämtliche prognostizierten Einnahmen, also inclusive durch die kalte Progression, in ihrem Haushalt.
Es kann also nie einen Spielraum im Haushalt zur Beseitigung der kalten Progression geben, weil die Mehreinnahmen durch die kalte Progression stets im Haushalt verplant werden.
Wen jetzt die kalte Wut packt und am liebsten unsere Politiker auf den Mond schießen würde, den kann ich durchaus verstehen. :-)
Mein persönliches Fazit
Der gut verdienende Facharbeiter und Akademiker ist in Deutschland der Zahlaffe der Nation. Seine Steuer- und Abgabenlast wird ständig durch die Politik erhöht, es lohnt sich immer weniger, als Facharbeiter in Deutschland zu arbeiten. Das ganze Gerede von der Politik für die Mitte wird durch die Praxis als hohles inhaltsloses Geschwätz entlarvt. Von den Blockparteien (xPD, Grüne, CxU) hat man nur weitere Belastungen und Abgaben zu erwarten. Die Mehreinnahmen werden nicht sinnvoll für Infrastruktur oder Schuldenabbau, sondern für Prestigeprojekte, zur Selbstbeweihräucherung oder für soziale Wohltaten wie Mütterrente oder Herdprämie verwendet. Oder ganz dreist, um die Steuergeschenke an Firmenerben, Konzerne und Spitzenverdiener zu finanzieren.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (03.09.2018 09:20).