00_Graham schrieb am 21.11.2016 19:16:
DJ Holzbank schrieb am 21.11.2016 17:37:
Zum einen einen staatspolitischen. Der Bestand der Ukraine als selbstständiger Staat - und damit das Überleben der herrschenden Klasse in der Ukraine (!) - hing nach der Aufspaltung der SU davon ab, ein Mindestmaß an Distanz zu Russland zu gewinnen. Einfach deshalb, weil die Ukraine "zu russisch" war (1992 war noch eine deutliche Mehrheit der ukrainischen Bürger russischsprachig), keine Geschichte als eigenständiger Staat vorweisen konnte, letztlich eben doch seinem jahrhundertelangen Namen Kleinrussland entsprach.
Und diese Distanz war 2013 auf einmal zu klein, nachdem das Verhältnis der beiden Staaten zueinander 20 Jahre lang eher unspektakulär war? Aufteilung der Roten Armee, Sortierung der Atomwaffen, eigene Währung, eigene Landessprache, Aufteilung der Schwarzmeerflotte nachdem über diese zuvor gemeinsam verfügt wurde, Änderung des GUS-Status der Ukraine - bei all diesen Schritten der Entflechtung und Emanzipierung hat die russische Führung nicht wie von der Tarantel gestochen reagiert und ist einmarschiert. Man hat das offenbar weitgehend als einen normalen Prozess hingenommen. Und aber 2013 wird Russland schlagartig abgrundtief böse, sch**sst auf Völkerrecht und Souveränität und verleibt sich die Ukraine ein?
Ich bin mir nicht sicher, ob Sie meine Ausführungen richtig verstanden haben.
Ich sprach über die langfristige Ausrichtung der Politik der herrschenden Klasse in der Ukraine auf die EU hin und die m.E. wichtigsten Gründe dafür, im Rahmen dieser Politik die traditionellen, nicht nur ökonomischen Bindungen an Russland schrittweise einzuschränken und sich in letzter Konsequenz vorwiegend zu einem Rohstofflieferanten und Absatzmarkt der EU zu machen.
Lech Walesa 2012: "Gott hat der Ukraine so gute Böden gegeben, so dass sie ganz Europa ernähren könnte. Wir sollten der Ukraine sagen, dass sie das ganze Getreide für Europa produzieren kann – aber dafür keine Maschinen. Die Maschinen könnte Polen produzieren."
> http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-09/lech-walesa-interview-ehrenpreis
So sieht es aus.
Diese Politik wurde gleichermaßen von den angeblich "prorussischen" sowie "proeuropäischen" Teilen der ukrainischen Elite befolgt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. (Schließlich hat ja Janukowitsch die Verhandlungen über die EU-Assoziation bis zur Unterschriftsreife vorangetrieben, obwohl er 2010 mit dem Versprechen einer auf Russland ausgerichteten Politik gewählt wurde.)
Mir ging's also nicht ausschließlich um das Jahr 2013.
Blu_frisbee schrieb sinngemäß: "Der kann doch nicht ernsthaft geglaubt haben, dass die EU an einer Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft interessiert war", Und ich antwortete: "Hat er auch nicht. Die Politik wurde vielmehr aus folgenden Gründen dennoch durchgezogen ..."
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (21.11.2016 20:42).